Isis
Bruders
Osiris wieder zusammengefügt hast. Große und mächtige
Herrscherin der Götter, deren Namen die Göttinnen
preisen. Wohltätige Zauberin, die Du den Dämon durch
die Worte Deiner Lippen vertreibst. Mächtige Göttin,
Inhaberin aller Macht. Groß im Himmel und Herrscherin
über die Gestirne, die jedem Stern ihren Platz gibt,
Isis, Quell des Lebens, Königin von Philae
und Königin der südlichen Wüsten.
Isis - das war der schönste Name, den sie jemals gehört hatte!
Ihn trug die Große Mutter, die Herrscherin des Himmels und dieser Tempelinsel, so viel wusste sie bereits.
Ihre Schwingen beschützten jeden Menschen, auch wenn sie unsichtbar waren. Manchmal konnte sie sie trotzdem spüren. Dann wurde es in ihrer Brust ganz weit und frei, und sie fühlte sich dem hohen, blanken Himmel so nah, als ob sie selber fliegen könnte.
Ganz anders war es in der Töpferei, wo Ruza Arbeit gefunden hatte. Hier ging es auf engem Raum warm und gemütlich zu. Scherze wurden gemacht, man konnte spielen und lachen. Es bereitete Meret Spaß, Gefäße unter den Händen ihrer Mutter emporwachsen zu sehen, die mal schmal und hoch, dann wieder breit und flach werden konnten, je nachdem, wie die menschlichen Finger dem Klumpen Ton Gestalt verliehen. Wenn es nicht zu heiß war, wurde die Arbeit ins Freie verlagert, was Meret noch besser gefiel, weil sie dann das Rauschen der Bäume hören konnte und die verschiedenartigsten Tierlaute.
Während sie zunächst nur zuschauen durfte, fing Meret irgendwann damit an, phantasievolle Gefäße aus Ton zu kneten. Nach einiger Zeit kamen wie von selbst Ornamente dazu, die sie in das noch feuchte Material ritzte: einfache Muster, dann lebendigere Formen, die sie der Natur abgeschaut hatte, schließlich sogar die Datteln und Papyrusbündel ihres geliebten Juwelenwaldes, die sie mit bunter Paste ausfüllte, damit sie im Ofen gebrannt werden konnten.
»Sie wird dich bald überflügelt haben«, sagte Uma gutmütig, die schon viele Frauen und Mädchen in ihr Handwerk eingewiesen hatte. »Meret besitzt eine Farb- und Formsicherheit, wie ich sie selten zuvor gesehen habe. Als ob in ihrem Herzen alles voller Blumen, Tiere und Bäume wäre.«
»Sie hat mich längst überflügelt«, erwiderte Ruza voller Stolz auf ihr ungewöhnliches Kind. »Sieh dir nur mal diesen Ibis an, den sie gestern modelliert hat! Man könnte meinen, er würde im nächsten Moment aufiliegen.«
»Ich denke, wir können sie vielleicht schon im kommenden Jahr an die Töpferscheibe lassen«, sagte Uma. »Dann ist sie groß genug, um die Scheibe antreiben zu können, und bestimmt schon so geschickt, dass sie nur wenig Ausschuss produziert.«
»Von mir aus bräuchte sie es mit dem Wachsen gar nicht so eilig zu haben«, murmelte Ruza und tauchte ihre Hände in eine Wasserschüssel, um den Ton zu benetzen. »Ich wünschte sogar, ich könnte die Zeit anhalten wie meine Töpferscheibe!«
Solange Meret noch ein Kind war, war alles einfach.
Ruza hatte ihr von klein auf Regeln eingeschärft, die sie befolgte, ohne zu murren. Es schien ihr nichts auszumachen, anders gekleidet zu sein als die restlichen Kinder und sich in allem an ihre Mutter zu halten. Meist war sie so folgsam, dass es Ruza geradezu unheimlich schien, lauschte den Märchen und Geschichten, die ihre Mutter zu erzählen wusste, malte mit Feuereifer Zeichen und Buchstaben auf ihre Tonscherben und vergnügte sich, wenn sie abends zusammen in einer geschützten Bucht im Fluss badeten.
Aber es gab auch Tage, die anders verliefen. Dann konnte sie Meret nirgendwo finden, als besitze das Kind die Gabe, sich plötzlich unsichtbar zu machen, und wenn sie es schließlich doch aufstöberte, war sein Gesicht verschlossen. Ruza fasste den Entschluss, nicht weiter in Meret zu dringen. Bald genug drohten ihnen ohnehin die Fragen, vor denen sie sich bereits jetzt fürchtete. Denn so sehr sie sich auch quälte, einleuchtende Antworten waren ihr bis jetzt noch nicht eingefallen. Aus alter Gewohnheit behielt Ruza ihre Bedenken für sich, bis Sanna sie eines Tages ansprach.
»Du hast mir bei eurer Ankunft nur eine von Merets Besonderheiten offenbart«, sagte sie, als sie einander am Flussufer begegneten. Die Wellen leuchteten wie gleißendes Kupfer, so tief stand die Sonne bereits. »Die weitaus wichtigere hast du für dich behalten. Weshalb?«
Ruzas Herz begann zu hämmern. Sie spürte plötzlich so etwas wie einen Schatten in ihrem Innersten.
»Meret ist ein
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