Isis
stocherte nur in den Speisen herum und fand immer wieder neue Ausreden vor sich selbst, warum sie das Haus nicht verlassen konnte. Sie schickte Isis los, um Einkäufe und Besorgungen zu erledigen, die nicht fragte, weshalb, ihr aber besorgte Blicke zuwarf.
Sie war es leid, diese schweißnassen Hände und die Angst, die sie nicht mehr losließ. Wenn sie ihm wütend entgegenbrüllte, er habe sie heute zum letzten Mal gesehen, schien Basa sich ganz besonders zu amüsieren.
»Heute ist unser Abschied, sagst du? Dann wird es dir ja bestimmt auch nichts ausmachen, wenn ich deinem Mann detailliert von unseren Zusammenkünften berichte. Zum Beispiel, wann du zu mir gekommen bist und wie oft, und dass ich dich ...«
»Das wirst du nicht tun, du Scheusal! Und außerdem würde Nezem dir kein Wort glauben.«
»O doch, das würde er, meine Schöne! Verlass dich drauf!«
»Er tötet dich, wenn ich ihm sage, wie du mich gefügig gemacht hast. Dein Leben ist kein Deben mehr wert!«
»Wie aufregend! Und warum hast du es dann nicht schon längst getan? Soll ich es dir sagen? Weil du mich brauchst.
Weil es dich verlangt nach dem, was ich hier mit dir anstelle.
Sei wenigstens einmal ehrlich zu dir, Selene!«
»Ich hasse dich!«
»Und ich liebe es, wenn du mich hasst. Das macht mich nur noch schärfer. Und jetzt komm endlich her und küss mich!
Ich denke, wir lassen vorerst lieber doch alles beim Alten!«
Sie verabscheute sich für ihre erbärmliche Feigheit. Am liebsten hätte sie sich ins Bett gelegt und die Augen geschlossen, um erst wieder aufzustehen, sobald sie Nezems Stimme hörte. Aber wie konnte sie ihm jemals gestehen, was sie da hinter seinem Rücken trieb? Schließlich musste sie ja auch an Isis denken, die niemals erfahren durfte, wozu ihre Mutter sich nötigen ließ.
Das Mädchen war vor einiger Zeit bedrückt nach Hause gekommen und hatte sich fast wortlos in ihr Zimmer zurückgezogen. Als Selene aus einem plötzlichen Impuls zu ihr ging, weil sie sich schämte, wie sehr sie mit sich selbst beschäftigt gewesen war, fand sie Isis auf dem Bett, das Gesicht fest gegen die Unterlage gedrückt. Sie weinte erstickt.
»Was ist los, mein Täubchen?«
»Nichts«, sagte Isis schluchzend. »Gar nichts.«
»Willst du es mir nicht doch erzählen?«
Stummes, energisches Kopfschütteln.
Selene begann sanft den Rücken ihrer Tochter zu streicheln, wie sie es schon getan hatte, als Isis noch ein Säugling gewesen war. Unter der vertrauten Wärme der mütterlichen Hand verebbte das Schluchzen allmählich.
»Bist du traurig?«, wagte Selene einen zweiten Anlauf.
Isis nickte in das Kissen hinein.
»Weshalb?«
Plötzlich war jeder Widerstand verschwunden, und Isis stürzte sich in Selenes Arme. Ohne Luft zu holen sprudelte sie alles heraus: wie Khay sie auf dem Heimweg abgepasst und überredet hatte, mit ihm zum Fluss zu gehen, das Geschwafel über seine Verlorenheit, das sie verwirrt hatte, und dann plötzlich die unerwartete Umarmung. Schließlich kam nach einer kleinen Pause auch der flüchtige Kuss zur Sprache. Und wie hässlich Khay seinen Bruder geschmäht hatte. »Dass er so gemein sein kann, Mama! Dabei liebt Anu ihn so sehr.
Aber ich hasse ihn, diesen Khay.«
Selene blieb sehr ruhig, obwohl es in ihrem Inneren ganz anders aussah. »Ihr seid beide jetzt in einem schwierigen Alter«, sagte sie schließlich. »Keine richtigen Kinder mehr, aber damit noch lange keine Erwachsenen. Ihr kennt euch schon euer ganzes Leben, und doch ist plötzlich alles anders.
Vielleicht liegt es daran, dass Khay ein ganzes Stück älter ist als du und schon andere Bedürfnisse hat. Es ist sehr wichtig, was ich dir jetzt sage. Versprichst du mir, ganz genau zuzuhören?«
Heftiges Nicken.
»Geh besser nicht mehr allein mit ihm an einsame Stellen, das bringt ihn womöglich nur auf dumme Gedanken.«
Isis löste sich von Selenes Schulter. »Aber was soll ich denn machen? Ihn gar nicht mehr treffen? Für mich ist er beinahe so etwas wie ein Bruder.«
»Ich denke, du hasst ihn.«
»Nur manchmal«, sagte Isis ehrlich. »Er kann so widerlich sein. Und dann wieder so nett.«
»Jedenfalls bist du für ihn keine Schwester mehr, das steht nach diesem Nachmittag fest, sondern ein anziehendes, aufregendes Mädchen. Du musst dich ihm gegenüber künftig eindeutig verhalten, Isis. Sonst wird er dich weiter verletzen.«
»Das habe ich doch schon getan, Mama. Ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben, als er so gemein wurde. Obwohl er viel größer
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