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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sagte er tonlos. »Warum von allen Männern ausgerechnet er?«
    Ihre Kehle wurde eng. Vor ihren Augen begann es zu flirren.
    »Er hat mich gezwungen«, sagte sie. »Und er hat ...«
    »Schweig!« Mit einer Armbewegung löschte Nezem jedes Argument aus. »Mit jedem Wort machst du alles nur noch schlimmer. Ich dachte, du liebst mich. Und ich dachte, du wüsstest, dass du mein Leben bist. Wie soll ich atmen ohne dich?«
    Sie trat auf ihn zu, »Bleib, wo du bist!«, rief er und hob die Hand, als wolle er sich vor ihr schützen.
    Jetzt erst fiel ihr auf, was hier geschehen war. Sie badeten beide in Gesteinsstaub. Es gab keine einzige heile IsisFigur mehr. Er hatte sie alle in abertausend Stücke zerschlagen.
    »Sie sind tot«, flüsterte Nezem. »Zerstückelt wie meine Liebe. Was soll ich jetzt mit dir anfangen? Dich zerstören, so wie du mich zerstört hast?«
    »Nezem, ich ...«
    »Bleib, wo du bist!«, wiederholte er. »Sonst vergesse ich mich. Was wird erst unser Kind sagen, wenn es erfährt, was seine Mutter getan hat?«
    »Du willst es Isis sagen?« Selenes Augen weiteten sich vor Schrecken. »Bitte — alles, nur das nicht! Ich flehe dich an.
    Nicht Isis!«
    Er ließ den Kopf sinken. »Geh!«, sagte er. »Verschwinde! Verlasse mein Haus! Du bist tot für mich, Selene. Ich kenne dich nicht mehr.«
    Tränenblind stolperte sie nach draußen.
     
    oooo
     
    »Hilf mir, Khay. Ich kann es nicht alleine.«
    »Hilf dir selbst! Du bist groß genug. Ich bin es leid, ständig für dich den Lückenbüßer zu spielen.«
    Er wandte sich ab, Anu aber lief ihm hinterher.
    »Aber nur du kannst die Bienen streicheln. D-d-dir gehorchen sie. Wenn ich sie anfasse, dann stechen sie mich. Du hast es versprochen. Du wolltest mir zeigen, wie ich es machen muss. Bitte, Khay. N-n-nur ein einziges Mal!«
    »Lass mich in Ruhe, ja?«
    »W-w-was hast du denn? Wieso bist so wütend?« Anu ließ sich nicht abschütteln. »D-d-du hast doch was. Ich weiß es ganz genau.«
    »Was ich habe? Kann ich dir gern verraten. Den blödesten kleinen Bruder der ganzen Welt. Und stottern wie ein Vollidiot tut er noch dazu. Verschwinde! Und zwar sofort. Sonst kannst du was erleben.«
    Anus Unterlippe zitterte. Die Augen füllten sich mit Tränen.
    Aber er schaffte es dennoch, sich umzudrehen und auf seinen dünnen Beinen sehr würdevoll zurück zum Haus zu gehen.
    Khay sank auf die warmen Lehmstufen. Sein Kopf dröhnte.
    Alles in ihm war wund. Niemals in seinem ganzen Leben hatte er sich elender gefühlt.
     
    oooo
     
    Als die Sonne sich rot färbte, trat Selene aus ihrem Versteck.
    Sie hatte die Tränen abgewaschen. Jetzt lag ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht. Es war ihr gelungen, Isis noch einmal von fern zu sehen. So hatte sie auf ihre Weise Abschied nehmen können von ihrem wunderschönen Kind.
    Niemand sollte Isis die Erinnerung an ihre Mutter zerstören können - auch Nezem nicht. Es gab nur einen Weg, wie sie ihn davon abhalten konnte, und sie war entschlossen, ihn bis zum Ende zu gehen.
    Die Wellen glänzten golden und kupfern, als sie langsam in den großen Fluss hineinwatete. Sie hatte sich eine einsame Stelle ausgesucht, an der sie ungestört sein würde. Das Leinenkleid schlug schwer gegen ihre Schenkel. Sie hätte sich lieber vorher gereinigt, frisch gekleidet und wie eine Braut Blüten und Geschmeide angelegt, aber dazu war es jetzt zu spät. Der Gott der Tiefe würde sie auch so in seinen Schoß aufnehmen.
    »Ich komme, Sarit«, sagte sie leise. »Nun werde ich dich niemals wieder allein lassen.«
    Das Wasser reichte ihr bereits bis zur Brust. In Keftiu gab es nur wenige, die schwimmen konnten, und sie gehörte nicht zu ihnen.
    »Vergib mir, Nezem!«, sagte sie. »Ich habe niemals aufgehört dich zu lieben.«
    Als das Wasser ihr Kinn erreichte, hielt sie noch einmal inne. Gold und Kupfer waren verschwunden. Wie ein Band aus flüssigem Silber erschien ihr der Fluss.
    »Für Isis«, sagte Selene, schloss die Augen und tauchte unter.



Als der Fluss Selenes Leichnam wieder frei gab, weigerte sich Nezem, das anzusehen, was zwei junge Fischer eines Morgens im Schilf entdeckt hatten: Die Haut der Toten war bleich und dick, das Fleisch sah mürbe aus, als ob man es mit den Händen zerreißen könne. Von der einstigen Schönheit zeugten nur noch die Haare, die sich träge wie ein rötlicher Schleier in der Strömung wiegten.
    »Es kann sich unmöglich um meine Frau handeln«, sagte er eigensinnig und legte sein Werkzeug keinen Augenblick beiseite.

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