Isländisch Roulette: Thriller (German Edition)
die sich für die Disco rausputzen. In diesen Momenten brodelt das Haus voller Leben und Fröhlichkeit. Im letzten Herbst ist die ältere Tochter hingegen nach Dänemark gezogen. Das Masterstudium war dort interessanter als hier. Die jüngere wird das Nest wohl auch noch früher, als man denkt, verlassen. Inga Dóra schreckt aus ihren Gedanken hoch, als das Telefon auf dem Küchentisch zwei Mal kurz piept. Eine SMS von Gunnar.
Komme nicht zum Essen nach Hause.
»Na dann«, sagt sie laut zu sich selbst. »Dann ist es einfach schon wieder ein Mikrowellengericht.« Sie hat noch nie gut für eine Person kochen können. Hingegen hat sie den Gefrierschrank voll mit diesen genialen Gerichten, die es einzig und allein erfordern, fünf Minuten in der Mikrowelle erhitzt zu werden.
»Das hast du nicht von mir. Damit das klar ist«, sagt Börkur zu Sigríður, als sie ihn gegen sechs Uhr anruft.
»Nein! Ich habe nie mit dir gesprochen. Kenne dich überhaupt nicht«, entgegnet Sigríður.
»Okay, es ist so. Er wurde erstochen, zu Hause in seinem Garten. Wahrscheinlich mit einem Messer. Lag tot im Pott. Die Mordwaffe wurde noch nicht gefunden. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Habt ihr irgendjemanden in Verdacht?«
»Ich kann nicht mehr sagen.«
»Vielen Dank dafür. Du bist ein Schatz«, sagt Sigríður und lacht.
»Wir seh'n uns.«
»Ich hab es jetzt, Hörður, mein Guter«, sagt sie zu dem Redakteur, der wie ein sabbernder Hund seinen Knochen erwartet, als sie das Telefongespräch beendet.
»Also?«, fragt er.
»Er ist im Garten mit einem Messer erstochen worden und wurde tot im Hot Pott gefunden.«
»Yessssss!«, schreit Hörður. »Jetzt können wir damit loslegen, schnell eine anständige Titelseite zusammenzuschustern.«
Gunnar Finnbjörnsson sitzt in seinem Büro. Es ist gleich zehn Uhr abends. Nichts hat sich in dem Fall ergeben, was ihnen helfen würde. Er hat schon fast alle seine Mitarbeiter nach Hause geschickt. Es ist besser, dass sie morgen ausgeruht sind, um die Untersuchungen mit neuem Elan anzugehen. Er wartet im Grunde darauf, dass Rúnar Páll damit fertig wird,die Aufnahmen der Verkehrsüberwachungskameras durchzusehen.
Hoffentlich kommt dabei was heraus, denkt er und schaut bei Rúnar Páll rein, der verbissen auf seinen Bildschirm starrt.
»Bist du an irgendwas dran?«, fragt er.
»Nein, ich geb dir Bescheid, wenn ich was finde«, sagt der und stopft sich eine Handvoll M&Ms in den Mund.
»Mach dich nicht tot mit der Arbeit, mein Lieber. Geh rechtzeitig nach Hause«, sagt Gunnar fürsorglich.
Zur gleichen Zeit sitzt Hörður Sveinsson in seinem Büro und betrachtet das Tageswerk. Ein verdammt gutes Blatt, denkt er. Sie werden es uns aus den Armen reißen. Er zündet sich eine Zigarette an. Das Büro ist sein zweites Zuhause. Er hat keine Lust, nach Hause zu gehen in seine Souterrainwohnung im Frakkastígur. Dort erwartet ihn nichts außer einem leeren Kühlschrank.
Hörður hat sein Leben in den letzten zehn Jahren dieser Zeitung verschrieben. Und dafür hat er teuer bezahlt. Seine Frau verließ ihn letztes Jahr mit den Worten, dass er ein Egoist sei, der die Arbeit allem anderen vorziehe. Da ist was dran, denkt er bei sich. Er hat fast jeden Tag gearbeitet, einen Scheiß auf allesund alle gegeben. Das Einzige, worauf es ihm ankam, war die Zeitung. Er kennt seine zwei Kinder kaum noch, einen fünfzehnjährigen Jungen und ein dreizehnjähriges Mädchen, und hat sie selten zu Gesicht bekommen seit der Scheidung vor einem halben Jahr. Es ist kein gutes Gefühl, allein auf der Welt zu sein. Seine einzige Familie sind die Leute von der Zeitung. Vielleicht ist es das wert, versucht er sich manches Mal einzureden. Alles wird so viel einfacher, keine Kompromisse und niemand, auf den man Rücksicht nehmen muss.
Auf dem Polizeirevier sitzt Rúnar Páll schwitzend über den Aufnahmen aus den Verkehrsüberwachungskameras. Stopp, stopp! Das muss ich noch einmal genauer sehen, denkt er, als er ein kleines Auto auf dem Bildschirm vor seiner Nase erblickt, das der Beschreibung des Ford Fiesta entspricht, der als gestohlen gemeldet wurde. Das Foto stammt aus der Kamera an der Ecke Hringbraut/Njarðargata, und das Auto fährt dort bei rot über die Ampel. Er spult zurück und kann nun das Kennzeichen des Wagens lesen. Er sieht auf seinen Block. Dieselbe Nummer. Bingo! Das Auto ist gefunden. Er sieht auf die Uhr. Es ist halb zwölf.
Rúnar Páll vergrößert die Aufnahme und zoomt auf den
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