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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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Weile durch den Kopf gehen und kam auf zwei Möglichkeiten. Erstens: Er hatte die Absicht, mich näher kennenzulernen. Zweitens: Er steckte so tief in der Scheiße, dass er nicht darüber reden wollte.
    »Hast du das gehört, Drew? Harvard.« Yasuo stieß Josh mit der Schulter an. Diese Jungs … immer mussten sie rempeln und raufen wie ein Rudel junger Wölfe. »Ich habe ihm von dir erzählt, und er wollte unbedingt die zweite Intelligenzbestie auf dieser Insel kennenlernen. Von jetzt an kannst du nicht mehr behaupten, wir Jungs seien alle Idioten.«
    Mir dämmerte die Wahrheit. Wahrscheinlich wollte er sich selbst ein Bild von der Zicke mit dem abartig hohen IQ machen. Mein miserabler Ruf hatte mich wieder mal eingeholt.
    »Nein, ich –« In diesem Moment jagte eine Horde Jungs an uns vorbei, um mit lautem Gebrüll die Schar der Gegner anzugreifen. Wir beobachteten den Kampf, bis sich das Knäuel auflöste und die Sieger in Jubelgeschrei ausbrachen. Einer der Verlierer erhob sich mit blutender Nase und einem offenbar ausgerenkten kleinen Finger.
    Ich wandte mich wieder Yasuo zu. »Ach, vergiss es«, sagte ich und zog die Augenbrauen hoch. »Ihr seid doch alle Idioten.«
    Zu meiner Verblüffung lachte Josh auch diesmal. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er vergrätzt abhauen und etwas über neunmalkluge Weiber murmeln würde. Dass er es nicht tat, versetzte mich in Panik.
    Sicher, auch Yasuo war nicht schnell beleidigt, doch das hing mit unserer Freundschaft zusammen. Und dass Ronan bei meinen Sprüchen nicht ausrastete, hatte wohl damit zu tun, dass er mein Lehrer war und mich ertragen musste, egal wie. Aber die Umgänglichkeit von Josh, den ich blöd anquatschte, obwohl wir uns kaum kannten, fand ich irgendwie unheimlich.
    Ich richtete den Blick auf das Dach meines Wohnheims, das die übrigen Gebäude ein Stück überragte. »Ich glaube, ich muss jetzt los.«
    »Wir begleiten dich«, meinte Yas.
    »Yeah.« Josh nickte. »Damit dir keiner dieser Idioten gefährlich werden kann.«
    »Genau.« Yasuo legte mir einen Arm um die Schultern. »Stell dir vor, einer von den Jungs macht dich an!«
    Ich rammte ihm den Ellbogen in die Rippen. »Jetzt reicht es.«
    Er ließ los. Lachend nahmen mich die beiden in die Mitte, und plötzlich hatte ich zwei männliche Begleiter. So einfach war das.
    Anfangs war ich verunsichert, doch das verlor sich rasch, als eine fröhliche Unterhaltung in Gang kam. Ich merkte, dass Josh mir zuliebe langsamer ging, hatte allerdings immer noch Mühe, mit meiner langbeinigen Eskorte Schritt zu halten. Dennoch geriet unser lockerer Redefluss nie ins Stocken, und ich begann mich richtig wohlzufühlen.
    Bevor ich auf diese Insel gekommen war, hatte ich mich nie wohl gefühlt. Und ich fragte mich, ob die grässliche Szene, die ich vor der Schwimmhalle miterlebt hatte, letztlich doch noch ihr Gutes haben könnte. Ich dachte an die Eingeweihten, die ihre überlebende Gefährtin gestützt hatten, und an Ronan, der sich leise mit einem anderen Sucher unterhalten hatte. Es war möglich, Beziehungen aufzubauen, Vertrauen zu anderen Personen zu entwickeln.
    Nur wenige Mädchen erreichten den Wächter-Status, aber je höher sie gelangten, desto enger schlossen sie sich wohl zu einer Gemeinschaft zusammen. Und wenn sie es bis ganz oben schafften, fühlten sie sich vermutlich fast wie in einer Familie. Ich hatte nie eine richtige Familie besessen. Das ganze Ausleseverfahren hier war zwar irgendwie krank, aber es weckte eine leise Sehnsucht in mir. Die Sehnsucht, Teil von etwas Größerem zu sein. Teil einer Familie.
    Ich spürte Joshs Blicke und merkte, dass ich das Gespräch schon eine ganze Weile nicht mehr mitverfolgt hatte. »Ich hab’s dir ja gesagt, Mann«, erklärte er Yasuo geradeheraus. »Sie ist keine dieser typischen Sheilas.«
    Was sollte das nun wieder? Hatten die beiden etwa über mich geredet?
    »Sheila?« Yas legte die Stirn in Falten. »Heißt das Mädchen oder was?«
    Josh nickte, sah dabei aber immer noch mich an.
    Ich musterte ihn argwöhnisch. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
    Endlich löste er den Blick von mir und wandte sich Yas zu. »Yeah, Sheila heißt Mädchen. Wann lernst du endlich richtig Englisch, Mann?«
    »Das ist kein Englisch«, protestierte Yasuo. »Das ist Australisch.«
    »Moment«, warf ich ein. »Noch einmal von vorn.« Ich störte mich ganz gewaltig an dem Satz Sie ist keine dieser typischen Sheilas . »Wovon habt ihr beiden eben geredet?«
    Yasuo seufzte

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