Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
und nach meine Hemmungen.
Es machte mich definitiv stärker.
Leider machte es mich nicht geselliger. Ich hielt mich immer noch die meiste Zeit abseits und schloss keine Freundschaften, mal abgesehen von Yasuo, mit dem ich zwischen den Vorlesungen rumhing und die knappe Freizeit bis zur Ausgangssperre verbrachte. Und dann war da noch Ronan.
Ständig wanderten meine Gedanken zu ihm. Und zu dieser verdammten Badehose, die mich vergessen ließ, dass man Ronan nicht trauen konnte.
Ich erreichte das Natatorium und stemmte wie gewohnt die Hüfte gegen den langen Metallgriff, der die Tür öffnete. »Aua!« Die Tür gab nicht nach. Ich rieb mir den schmerzenden Hüftknochen, ehe ich es erneut versuchte, diesmal mit beiden Händen. Aber ich hatte kein Glück. Jemand hatte die Tür zugesperrt. »Was zum …?«
Ich rieb mir den Nacken und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Ich musste zur vereinbarten Zeit da sein … sonst geschah was? Irgendwie bezweifelte ich, dass es auf der Insel Arrest oder ähnliche Strafen gab. Aber wie konnte ich rechtzeitig zum Unterricht erscheinen, wenn die Tür verschlossen war? Ich stöhnte. Womöglich war das hier irgendein abartiger neuer Test.
Ich war eben im Begriff, noch einmal mit Schwung gegen die Tür zu stoßen, als ich von drinnen aufgeregte Stimmen vernahm. Es gelang mir gerade noch, in Deckung zu gehen, als die Tür nach innen aufging und eine Schar Eingeweihter ins Freie drängte. Eine seltsam nervöse Energie umgab die Gruppe. Die in der Regel eher großspurigen Mädchen wirkten bedrückt und angespannt.
Zwei starr geradeaus blickende Sucher folgten ihnen. Sie schleppten ein sperriges, in Segeltuch eingeschlagenes Bündel nach draußen. Wenn es sich nicht um einen Teppich handelte – einen großen, schweren Teppich, der die Hülle merkwürdig ausbeulte – dann musste es ein Leichnam sein, den sie da wegschafften.
Ich hielt mich weiter unauffällig im Hintergrund und beobachtete die Eingeweihten, die die Nachhut bildeten. Eine von ihnen torkelte und stützte eine Kollegin, deren weißer Frottee-Bademantel offen stand und den Blick auf einen schwarzen Standard-Badeanzug freigab. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein, wenn eine Eingeweihte außerhalb des Schwimmbeckens weniger trug als diesen Overall, der sie von uns Acari abhob und auf den sie so stolz waren.
Sie wankte an mir vorbei, und ich sah den leeren Blick in ihren Augen. Ihre Lippen waren blau, und rötlich gefärbter Schaum hing in ihren Mundwinkeln. Dabei schien sie die Überlebende zu sein. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.
Ronan bildete den Abschluss der Gruppe. Er sprach leise auf einen Sucher im Neoprenanzug ein. Als er mich entdeckte, verabschiedete er sich von seinem Begleiter und kam zu mir.
»Was war das eben?«, fragte ich.
»Tauchtraining.« Er blieb nicht stehen, sondern entfernte sich mit raschen Schritten von der Schwimmhalle. Ich folgte ihm.
Hieß das, dass unser Einzelunterricht heute ausfiel?
Meine erste Erleichterung verflog, als ich registrierte, was er da eben gesagt hatte. Schwimmunterricht war eine Sache, aber musste ich irgendwann auch tauchen lernen?
»Moment.« Ich blieb mit einem Ruck stehen. Die Schwimmnudel war entwürdigend genug, aber wenn ich mir vorstellte, dass ich Ronan eines Tages unter Wasser anstarren müsste, mit einer Tauchermaske, die meine Wulstlippen und hervorquellenden Augen noch vergrößerte und verzerrte, dann ängstigte mich das mehr als der Gedanke, ins tiefe Wasser hinauszuschwimmen. »Es gibt auch Tauchlehrgänge? Mit Atemgeräten und so?«
Mein Herz begann zu hämmern. Niemals. Niemals würde ich mich von einem Bootsdeck mit so einem Rückwärtssalto in die Fluten werfen oder was immer diese Navy- SEALS -Spezialeinheiten an dämlichen Kunststücken vollführten.
Das Mädchen, das eben erst an mir vorbeigetaumelt war, hatte ausgesehen wie hingekotzt. Blutiger Schaum vor dem Mund war definitiv Alarmstufe Rot. Im Geiste sah ich mich als halbe Wasserleiche. Eine morbide Vorstellung.
»Wir benutzen keine Sauerstofftanks. Ihr lernt, den Atem anzuhalten.« Er hielt nicht an, und ich musste joggen, um ihn wieder einzuholen. »Es gibt Freitaucher, die fast zwanzig Minuten unter Wasser bleiben können.«
»Den Atem anhalten?« Meine Stimme klang schrill, und ich dämpfte sie ein wenig. Irgendwie hoffte ich, dass er das nur sagte, um mich zu schocken. »Willst du mich verarschen, oder was?«
Er warf mir diesen harten Hör-mit-dem-Quatsch-auf
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