Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
freiwillig Sport getrieben hatte – es sei denn, eine Zeugnisnote hing davon ab. Aber der Schnee war geschmolzen, und ich hätte gern das weich federnde Gras unter meinen Füßen gespürt. Bis vor Kurzem wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich einmal die heiße Sonne Floridas und den Geruch von frisch gemähten Wiesen vermissen könnte.
Yasuo tobte mit einigen seiner Kumpels vorbei. Als ich ihn sah, wurde mir warm ums Herz. Ich seufzte. Warm, ja. Aber es durchfuhr mich längst nicht so heiß wie hin und wieder beim Anblick von Ronan.
Wenn, ja wenn. Wie leicht wäre alles, wenn ich mich stärker zu meinem Freund hingezogen fühlte! Obwohl ich den Eindruck hatte, dass auch Yasuo in mir nicht mehr als einen guten Kumpel sah. Wenn ich seine Blicke richtig deutete, dann hatte er eine Schwäche für Rothaarige – und insbesondere für Herzgesicht.
Ganz in meiner Nähe bahnte sich unter wildem Geschrei eine Rauferei an. Einen Moment lang dachte ich, aus dem Gebolze könnte Ernst werden, doch dann sprangen die Jungs auf, klopften einander auf die Schultern und rannten zurück in die Mitte des Spielfelds.
Ich suchte noch einmal nach Yasuo. Er hatte mich entdeckt und winkte mir zu, als sich unsere Blicke trafen. Dann löste er sich aus dem Pulk und kam auf mich zu.
Aber dann versteifte ich mich. Denn einer seiner Kameraden begleitete ihn. Und seine Augen waren wie Laserstrahlen direkt auf mich gerichtet.
Die Jungs kamen geradewegs auf mich zu. Ein beklemmendes Gefühl erfasste mich. Ich hätte gern ein paar Worte mit Yas gewechselt, aber mir war echt nicht nach Small Talk mit einer dieser Dumpfbacken aus seinem Umfeld zumute.
Und der Typ, der Yas begleitete, hatte in meinen Augen definitiv ein hohes Dumpfbacken-Potenzial. Wie alle Vampir-Azubis gab er den krassen Muskelmann, aber sein gestählter Body erweckte den Anschein, als sei er im Gegensatz zu den meisten anderen bereits wahlberechtigt.
Auch mit seiner Haarpracht tanzte er aus der Reihe. Im Allgemeinen fand ich Blond bei Jungs nicht besonders aufregend – da ich selbst blond war, hielt ich eher nach dunklen Typen Ausschau. Aber sein Haar hatte die Farbe von hellem Sand, und er trug es so lang und gammelig, als käme er eben von einer Surf-Meisterschaft an einem gefährlichen australischen Riff zurück. Irgendwie machte es mich nervös.
»Yo, Blondie!« Yasuo sprintete die letzten Meter auf mich zu und boxte mich brüderlich in den Arm. »Spionierst du uns etwa nach?«
»Klar, was hätte ich sonst zu tun?« Ich verdrehte die Augen.
Yas deutete auf seinen Kumpel. »Kennst du Josh?«
»Josh, den Vampir?« Das klang so absurd, dass ich mühsam ein Grinsen unterdrückte.
Aber in diesem Moment lachte Josh, der künftige Vampir, schallend los. Ich lachte mit, auch wenn mich die Leichtigkeit dieser Begegnung verunsicherte. Denn mir war noch nie etwas leichtgefallen. Mein Leben? Bestimmt nicht leicht. Die wenigen Leute, mit denen ich gern zusammen war – Yasuo, Ronan? Alles andere als einfach.
Und da tanzte dieser Typ an, locker und entspannt bis in die kleinste Muskelfaser, als käme er eben von einer Massage. »Noch nicht Josh, der Vampir«, sagte er mit einem – wie hätte es anders sein können – starken australischen Akzent. »Eher Josh, der vielversprechende Vampir-Anwärter .«
Wieder trafen sich unsere Blicke, und diesmal schaute ich nicht weg. Sein schmutzigblondes Haar vereinte sich mit seinem dreckigen Feixen zu einer verdammt coolen Ausstrahlung. Jawohl, dreckig. In seinen braunen Augen blitzte so viel Übermut, dass ich mir sehr genau vorstellen konnte, welche unverschämten männlichen Impulse durch diesen wohlgeformten Körper spukten.
Ich spürte, wie ich rot wurde. »Wo haben sie dich denn aufgegabelt? Irgendwo im Busch?« Das kam spontan, bevor ich meine Gedanken filtern konnte.
Aber er lachte wieder über meine Verlegenheit hinweg – völlig entspannt, versteht sich. »Harvard. Vorstudium Medizin.« Er hatte einen singenden Tonfall, mit einem leichten Kick nach oben am Ende jedes Satzes.
Wahnsinn. Schon wieder ein hinreißender Akzent. Und diesmal sogar mit edlem Background. »Und durch welche glücklichen Umstände hat es dich hierher verschlagen?«
Yas lachte. »Wahrscheinlich durch die gleichen Umstände wie uns alle.«
Aber Josh schüttelte nur den Kopf und entgegnete fast schüchtern: »Um dir das zu erzählen, müsste ich dich schon besser kennen.«
»M-hm.« Was hieß das nun wieder? Ich ließ mir seine Worte eine
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