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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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jetzt seit gut einem Monat hier, und diese Bewertung drohte das gleiche Desaster zu werden wie die erste.
    Fünfzig-Meter-Sprint: lachhaft.
    Seilklettern: katastrophal.
    Sit-ups: zum Brüllen komisch.
    Und jetzt mal im Ernst: Wer patzte schon bei Sit-ups? Also, ich hatte geglaubt, meine Sache gut zu machen. Bis ich die anderen Mädchen sah, die Arme vor der Brust verschränkt, im Rhythmus schnauf-schnauf-schnaufend wie verrückt gewordene kleine Dampfloks.
    Ich hatte in den vergangenen Wochen minimale Fortschritte gemacht. Sonderten die tatsächlich Mädchen aus, die an irgendwelchen Kletterstangen oder -seilen scheiterten?
    Als Nächstes kamen Klimmzüge. Das Blut, das ich trank, machte mich kräftiger, aber ich schaffte es immer noch nicht, mich bis in Kinnhöhe an dieser dämlichen Reckstange hochzuziehen. Eher wuchsen mir Flügel.
    Der Anblick von Lilou, die wie ein aufgetakeltes Paradepferd von Übung zu Übung tänzelte, trieb mich zur Weißglut.
    Ich wollte siegen. Musste siegen. Aber Lilou stand mir im Weg. Wie konnte ich die nächste Stufe erreichen, wenn Lilou alles Erdenkliche tat, um meinen Untergang zu besiegeln?
    Am Rande meines Blickfelds tauchte Ronan auf, obwohl ich keine Augen benötigte, um zu wissen, dass er da war. Ich spürte ihn, wann immer er in meine Nähe kam. Er war die Fackel, die heiß und hell brannte, und ich die plumpe, haarige Motte, die sich vom Licht angezogen fühlte.
    Ich atmete tief durch. Meine Laune war mehr als gereizt. Da ich fest damit rechnete, dass er mir die Leviten lesen wollte, ließ ich ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Was gibt es, Ronan … äh, Sucher Ronan?«
    »Du musst dich konzentrieren, Annelise.« Sein Tonfall überraschte mich. Das war nicht die Predigt eines unzufriedenen Lehrers, sondern der geflüsterte Ratschlag eines Verbündeten.
    »Konzentrieren? Was denkst du, was ich bei jedem Umlauf dieses beschissenen Zirkeltrainings mache? Ich bin so verdammt konzentriert wie noch nie im Leben.«
    »Keine Flüche!«, zischte er.
    »Yeah, okay, dann eben ungemein konzentriert. Zufrieden?« Ich sah ihn aus schmalen Augen an. »Und wenn wir schon bei gutem Benimm sind – warum nennst du mich eigentlich Annelise und nicht Acari Drew ?«
    »Du heißt nun mal Annelise.«
    Etwas trieb mich zur Erbsenzählerei. »Die Eingeweihten und Guidons nennen mich aber Acari Drew. Müsstest du das nicht auch tun?«
    »Es passt nicht so gut zu dir wie Annelise «, entgegnete er. Ich spürte, dass er verlegen wurde.
    Und das machte wiederum mich verlegen. Was sollte dieser Wortwechsel überhaupt? »Ach, nenn mich, wie du willst. Es spielt keine Rolle, weil ich diese Tests ohnehin nicht schaffe.«
    »Sag das nicht!« Das klang rau auf eine Weise, die mich erschauern ließ. Hart, entschieden und irgendwie total männlich.
    Ich konnte natürlich den Mund nicht halten. »Was kümmert es dich, ob ich durchfalle oder nicht?«
    »Du fällst nicht durch. Nicht, wenn du dir Mühe gibst.« Er trat ganz nahe an mich heran. Er roch gut, wie eine frische Meeresbrise. Aus irgendeinem Grund weckte das in mir den Wunsch, ihn noch mehr zu provozieren. Entweder das – oder mich in diese Arme zu flüchten, deren Muskeln unter dem dünnen Material seines Sporttrikots kaum zu übersehen waren. »Wenn du dir Mühe gibst, schaffst du es.«
    Seine Stimme war streng. Die Stimme eines Lehrers. Nicht die Stimme eines Mannes, der die Absicht hatte, mich in die Arme zu nehmen.
    » Tu es oder tu es nicht. Es gibt kein Versuchen … Richtig so, Yoda?« Die ätzenden Worte waren mir entschlüpft, ehe ich sie zurückhalten konnte. Offenbar konnte ich im Moment nichts, außer Streit vom Zaun zu brechen.
    Aber Ronan ging nicht auf die Provokation ein. Stattdessen wurde sein Tonfall wärmer, freundlicher. »Du kannst es schaffen, Annelise. Du bist jeder Aufgabe gewachsen, die man dir stellt. Du bist aus einem bestimmten Grund hier. Du bist etwas Besonderes. Du bist auserwählt. Aus einem ganz bestimmten Grund.«
    Ich spürte eine Welle des Stolzes, obwohl ich mir einredete, dass alles nur Pep Talk war. Aufmunternde Worte von Lehrer zu Schülerin.
    Einen zynischen Augenblick lang überlegte ich, ob er mich mit seiner Magie zu beeinflussen versuchte. Aber er hatte mir erklärt, dass seine Überredungskünste nur wirkten, wenn er mich berührte. Und ich hatte bei seinen Berührungen immer eine ganz sonderbare Wärme gespürt. Nein, ich würde es merken, wenn er seine übernatürlichen Kräfte einsetzte. Er hatte

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