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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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die Suppe serviert und mit welchem Löffel? Charme, sicheres Auftreten, Höflichkeit …
    Ein leiser Schauder überkam mich. Wenn es etwas gab, das Lilou und Josh aus meinen Gedanken verdrängen konnte, dann war es Alriks Anstandslehre. Ich hatte gehofft, wir würden in seinem Seminar eine Einführung in das Mixen von Martinis erhalten oder Baccarat lernen, aber weit gefehlt. Stattdessen plagte er uns mit Gesellschaftstanz. Gesellschafts tanz, eine grässliche Tortur. Ich hatte von Anfang an gewusst, dass ich diese Lektionen hassen würde.
    Und Master Alrik Dagursson?
    Der schlimmste Gruseltyp von einem Lehrer, den man sich vorstellen konnte.
    Er hatte mir bis jetzt drei Dinge klargemacht.
    1. Ich hasste Paartanz.
    2. Manche Lehrer waren Vampire.
    3. Nicht alle Vampire waren scharfe Typen.
    So viel zum Twilight -Weltbild.
    Ich hegte den Verdacht, dass Alrik – oder Master Dagursson, wie wir niederen Acari ihn nennen mussten – einer von den Alten war, die Ronan erwähnt hatte. Der Name allein wies ihn als einen Nachfahren der Wikinger aus, obwohl er nicht die Spur eines nordischen Akzents hatte. Stattdessen sprach er mit samtiger Stimme und benutzte gestelzte pseudoklassische Wendungen. Das klang, als würde Keanu Reeves in der Rolle eines Gralsritters vor versammelter Tafelrunde eine feierliche Rede vom Stapel lassen.
    Und sein Äußeres? Möglich, dass es mittlerweile nur noch total coole Vampire gab, aber der Typ sah aus wie ein Altrocker, den sie in der Zeit festgefroren hatten, bevor er ganz zum Zausel degenerierte.
    Alles in allem kam ich bis jetzt auf drei Vampire auf dem Gelände. Rektor Fournier. Master Dagursson. Und das geheimnisvolle Monster am Wegrand.
    Ich zog den Reißverschluss meines Anoraks auf und nahm mit Schwung die Stufen zum Naturwissenschaften-Gebäude. Ich lächelte. Gott sei Dank war Dienstag. Am Dienstag hatten wir nicht Master Dagursson, sondern Phänomenologie mit Sucher Judge.
    Ich liebte dieses Fach. Und ich bewunderte den Dozenten. Ich war zu der Erkenntnis gelangt, dass es nicht viele Leute wie Sucher Judge auf dieser Insel gab. Er war enorm klug, wissbegierig und aufgeschlossen für alles Neue. Und obwohl er jede Menge Selbstdisziplin besaß, war er uns gegenüber immer nachsichtig und versöhnlich. Mir hatte er sogar angeboten, mich zweimal die Woche nach dem Unterricht in das Hacken von Linux-Servern einzuweisen.
    Ich lächelte immer noch, als ich in den Hörsaal stürmte und mich wie gewohnt auf meinen Platz neben Yasuo plumpsen ließ. Immer noch lächelnd warf ich einen Blick zum Pult. Doch dann sah ich ihn und merkte, wie jegliche Farbe aus meinem Gesicht wich.
    Er war das Monster von meinem nächtlichen Lauf, und er starrte genau in meine Richtung.

»Ich darf heute einen Gastdozenten begrüßen.« Sucher Judge stand neben dem Podium, steif und formell im Gegensatz zu seiner sonst eher lässigen Art. »Er möchte euch einige Mathematikaufgaben zeigen, und ich denke, ihr werdet rasch erkennen, dass er ein Meister seines Fachs ist.«
    Während ich den Ausführungen von Judge folgte, konnte ich meine Augen nicht von dem Vampir abwenden. Obwohl ich ihn im Dunkel zwar nicht genau hatte erkennen können, hegte ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass er es war. Das Monster am Wegrand. Ich spürte es an seinem durchdringenden Blick – an der summenden Energie, die von ihm ausging, als sei er ein gewaltiger Magnet.
    »Genug der Vorreden.« Judge deutete mit einer weit ausholenden Armbewegung auf den Fremden. »Ich überlasse das Pult Master Alcántara.«
    »Danke, Sucher.« Sein Blick wanderte durch den Hörsaal, und ich hätte schwören können, dass er erneut zu mir zurückkehrte.
    Ich atmete tief durch.
    Der Vampir deutete elegant eine Verbeugung an. Wieder in meine Richtung. »Ich bin Hugo de Rosas Alcántara.«
    Hugo de Rosas Alcántara … das rollte von seiner Zunge, dunkel und mit einem schweren Akzent, rauchig und verführerisch wie ein Glas spanischer Brandy. Die Kinnladen der Mädels klappten nach unten.
    »Ich wurde im vierzehnten Jahrhundert geboren – in Madrid.« Er ließ die schockierende Enthüllung einfach so im Raum stehen, und ein kollektives Keuchen ging durch die Bankreihen. Ein Wolfslächeln umzuckte seine Mundwinkel.
    Ich merkte, wie Yasuo auf seinem Platz hin und her rutschte und meine Aufmerksamkeit zu erlangen versuchte, aber ich hatte nur Augen für den Vampir. Ich war hypnotisiert. Er sah kaum älter als neunzehn aus, und ich konzentrierte mich

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