Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
meine Schätze ans Licht und drückte sie an mich wie eine Schmusedecke. Ich hörte Musik, richtige alte Musik – Alternative, Soundtracks, Achtziger-Hits, was immer –, und dieser Hauch von Normalität linderte wie eine Wundermedizin all die Schmerzen, Ängste und Unsicherheiten dieser total fertigen Szenerie.
Mein iPod enthielt auch Bücher – ich hatte Dutzende von Werken auf dem Ding gespeichert – und so konnte ich unter der Bettdecke meine Lieblingsromane lesen und so tun, als sei ich ein normales Mädchen mit einer normalen Zimmergenossin in einem normalen Studentenwohnheim.
Allmählich entwickelte ich Routine in diesen Dingen, und mein Leben lief einigermaßen normal und ereignislos ab. Falls ereignislos auch den Fund einer Schachtel extralanger Streichhölzer, eines goldenen Feuerzeugs, eines Behälters mit Feuerzeugbenzin und sonstiger Artikel zum Zündeln in den Schubladen meiner Zimmergenossin beinhaltete und normal zur Beschreibung einer Vampir-Botschafter-Akademie taugte, die neben einem brutalen Fitness-Training auch Charme- und Benimm-Kurse im Programm hatte.
Während ich zu meiner Phänomenologie-Vorlesung eilte, überkam mich eine gewisse Skepsis hinsichtlich unserer künftigen Botschafter-Aufgaben. Die sportlichen Höchstleistungen, die man von uns forderte, ließen darauf schließen, dass eine Wächterin weniger als Attachée denn als Agentin im 007-Sinn des Wortes eingesetzt wurde.
Ich zuckte zusammen, als ich die Clique sah, die ein Stück vor mir um die Ecke kam. Allem Anschein nach war mein Hass so stark, dass er Lilou aus dem Nichts herbeizauberte, wenn ich nur an sie dachte. Sie und eine ihrer Freundinnen aus der Schicht der oberen Zehntausend steuerten geradewegs auf mich zu.
Aber sie befanden sich in Begleitung von Josh .
Er hatte seine Arme um ihre Schultern gelegt, und das schien ihnen durchaus zu gefallen. Versuchte er nur nett zu sein? Wusste er nicht, dass sie das Böse schlechthin verkörperten? Und wer hatte hier wen angebaggert?
Wenn die Gerüchte stimmten, hatte er bei seinen Kumpels getönt, dass er nach und nach sämtliche Acari flachlegen würde. Da jedoch Yasuo nichts von diesen Sprüchen wusste, hatte ich sie nicht ernst genommen und eher den Mädels angekreidet, die allesamt für den gut aussehenden Aussie schwärmten.
Aber als ich ihn nun sah und mir das übermütige Blitzen seiner Augen in Erinnerung rief, traute ich ihm durchaus zu, dass er seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen versuchte. Irgendwie, ich weiß nicht warum, hatte ich geglaubt, er sei an mir interessiert. Doch offensichtlich interessierte sich Josh für jedes weibliche Wesen.
Sollte ich nun enttäuscht sein? Sauer, geschmeichelt oder erleichtert sein? Ich wusste es nicht.
Lilous melodisches Lachen erfüllte den Innenhof. Entweder fand sie irgendeine Bemerkung von ihm überaus lustig, oder sie tat zumindest so. Ich hätte auf Letzteres gewettet.
007, aber echt. Wer hätte ein besseres Bond-Girl abgegeben als Lilou und die gut gebauten Schlampen in ihrem Umkreis? Die Clique schien es ganz besonders auf Josh abgesehen zu haben, und das passte irgendwie nicht zusammen. Er kam angeblich von Harvard. Weshalb zog er diese unterbelichteten Tussen so unwiderstehlich an? Ich meine, Josh war süß, aber das galt für praktisch alle Typen auf dieser Insel.
Sie kamen näher, und anstatt ihnen auszuweichen, ging ich hocherhobenen Hauptes auf sie zu. Ich dachte nicht daran, für Lilou Platz zu machen.
Sie und ihre Freundin bedachten mich mit finsteren Blicken, aber Josh begrüßte mich wie immer mit einem breiten Grinsen. Seine Augen funkelten, als hütete er ein Geheimnis.
Er löste sich von den Mädchen und trat zur Seite, damit ich vorbei konnte. »Du siehst heute spitze aus, Drew.«
Er sprach langsam und eindringlich, als forderte er mich auf, seine Worte genau zu überdenken. Und wer weiß? Vielleicht versuchte er tatsächlich, mir eine versteckte Botschaft zu übermitteln. Aber vielleicht flirtete er auch nur. Vielleicht benahmen sich alle Jungs so komisch.
Dann konnten sie mir gestohlen bleiben.
Allmählich verloren sich Lilous Lachen und der australische Singsang von Josh, der in meinen Ohren so sexy klang, in der Ferne. Die beiden konnten so mühelos flirten – eine Eigenschaft, die mir ganz und gar abging.
Mir fiel sogar der Benimm-Unterricht schwer. Wann war ein kokettes Lächeln angebracht und wann ein züchtiger Blick zu Boden? Wann konnte man auf formelle Titel verzichten? Wann wurde
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