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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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auf meinem Stuhl hin und her. Sein Blick spießte mich auf. Ich kam mir vor wie ein Schmetterling in einer Glasvitrine. »Also, ein Mathematiker könnte beispielsweise die Graphentheorie einsetzen, um aufgezeichnete Telefonate in mathematische Strukturen umzuwandeln und so Terrorzellen zu ermitteln. Angenommen, jeder Knoten stellt einen Anrufer dar, dann ergäbe ein Diagramm Hinweise auf Mitläufer, Bosse, Kommandozentralen, Hierarchien und all das.«
    »Sehr schön.« Master Alcántaras Blick ruhte wohlwollend auf mir. Ich spürte eine seltsame Erregung, die mir Unbehagen bereitete. Eine Fliege, die sich von der tödlichen Spinne angezogen fühlt. »Diese Art von kritischem Denken«, er verneigte sich höflich, und mein Gesicht brannte wie Feuer, »offenbart dein Verständnis für die Bedeutung von Grundbausteinen des Wissens im großen Gefüge der Welt.«
    Er führte den Gedanken weiter aus, aber ich hörte nur Blablabla , weil er mich total in seiner Gewalt hatte. Wie ein Schlangenbeschwörer. Und er schien mich immer noch anzustarren. Mich. Selbst jetzt spürte ich seine funkelnden Augen wie ein Kribbeln auf meiner Haut.
    »Und nur mit dieser Art von Denken wird es gelingen, einen Spitzenplatz unter den Acari und den vom Direktorat ausgesetzten Semesterpreis zu erringen.«
    Endlich ließ mich sein Blick los. Bei dem Wort Semesterpreis setzte ich mich kerzengerade hin. Sie vergaben hier Preise? Ob so ein Preis eventuell ein Einzelzimmer beinhaltete?
    »Wie ihr wisst, werden nur die besten Acari zur nächsten Stufe des Wächter-Trainings zugelassen.« Master Alcántaras Blick wanderte aufmerksam durch den Hörsaal. »Und die Allerbeste von euch erhält das Privileg, mich am Ende des Semesters zu begleiten. Auf eine Mission fern von dieser Insel.«
    Ein kollektiver Seufzer erhob sich unter den Mädels, während sich bei den Jungs Enttäuschung breitmachte. Ein Preis nur für die weiblichen Acari – und überdies verbunden mit einer Reise …
    »Um die Siegerin dieses Semesters zu bestimmen, werden wir in einem der vier Fächer einen Test durchführen. Einen besonderen Wettbewerb. Die Teilnahme ist freiwillig, obwohl wir davon ausgehen, dass jede Acari, die den Ehrgeiz besitzt, eines Tages zu den Wächtern zu gehören, begeistert mitmachen wird.«
    In meinem Innern loderte eine helle Flamme auf. Und ob ich mitmachen würde! Ich war die letzten zwölf Jahre oder mehr immer Klassenbeste gewesen. Ich würde den Preis gewinnen – und die Reise in die große Welt! Ich wusste nicht, was verlockender war: Master Alcántara zu begleiten oder einen Fluchtversuch zu wagen.
    Ich würde gewinnen, eine Weile an der Seite eines Mathematikers aus dem fernen Mittelalter verbringen – eine zugleich beängstigende und verführerische Aussicht – und dann irgendwie verschwinden. Ich wusste nicht genau, was er mit fern von dieser Insel meinte, aber ganz bestimmt fand sich eine Möglichkeit, ihm zu entkommen.
    In diesem Moment bedachte er uns mit einem boshaften Lächeln. »Aber Acari sollten sich in jeder Disziplin um einen Spitzenplatz bemühen, sei es in Sprachen, Fitness oder gutem Benehmen. Und aus diesem Grund werden wir erst gegen Ende des Semesters bekannt geben, in welchem Fach die Prüfung diesmal stattfindet.«
    Meine helle Flamme drohte in sich zusammenzusinken. Ein Test in Fitness? Anstandslehre? Scheiße!
    Ich warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Da nur Acari infrage kamen, übersprang ich die Jungs und befasste mich mit der weiblichen Konkurrenz. Da war die langbeinige Walküre, die Master Dagursson bei den Gesellschaftstänzen ganz schön alt aussehen ließ. Da waren die Gang-Ratten, die mit linken Tricks kämpften, und die Mannweiber, die das nicht nötig hatten. Da war Lilou.
    In den wissenschaftlichen Fächern konnte mich keine von ihnen übertrumpfen. Aber in allen anderen Dingen waren sie besser als ich.
    Hieß das, dass ich eine sichere Sieg-Anwärterin war? Sie würden doch kein Quatsch-Fach für diesen Wettbewerb auswählen, oder? Wie in aller Welt sollte sich eine Ausscheidung in elegantem Auftreten abspielen? Nein, es musste etwas wie Phänomenologie sein. Eine Algebra-Aufgabe vielleicht. Oder ein Aufsatz. Über nordische Mythologie beispielsweise.
    »Der Siegerin winkt ein unvorstellbar reicher Lohn.« Er hatte sich wieder mir zugewandt und schien seine Worte nur an mich zu richten. Seine Augen glitzerten wie bei einem Raubtier, das mit seiner Beute spielte.
    Ein Schauer jagte durch meine

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