Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
zur Insel?
Der Wind trieb Schneefäden über das Eis. Wie Nattern schlängelten sie sich über die gefrorene Wasserfläche und schienen Tom zu verspotteten. Ihm war klar, wenn er sich erst einmal auf das Eis gewagt hatte, würde es kein Zurück mehr geben, dann war er der Gnade des Sees ausgeliefert. Er holte eine Flasche aus seiner Tasche und stärkte sich mit einem Schluck Schnaps, dann betrat er das Eis.
Die Zeit verging. Es war weder dunkel noch hell, um ihn herum war nur das endlose Weiß des Wintersturms. Er kniff die Augen zusammen und betete, nicht schneeblind zu werden. Die durchdringende Kälte machte ihn langsam und verwirrte ihn. Immer wieder zog er seinen Kompass zurate und setzte mit Bedacht einen Fuß vor den anderen, bemühte sich, die Richtung beizubehalten. Aus irgendeinem Grund half es ihm, Deborah Sinclairs Gesicht im Geiste heraufzubeschwören.
Er fand das zwar seltsam, da er die Frau noch nicht einmal mochte. Aber er konnte nicht leugnen, dass sie schön war wie der Wintermond, blass und vollkommen, aber ebenso weit entfernt. Eine Eisprinzessin. Ihr Bild schimmerte wie ein Leuchtfeuer vor ihm, forderte ihn auf, näher und näher zu kommen, einen Schritt um den anderen. Er spielte in Gedanken ein Spiel, versuchte sich an jede Facette von Deborah Sinclair zu erinnern, angefangen bei dem menschlichen Geschoss, das auf dem Treppengeländer heruntergerutscht gekommen und gegen ihn geprallt war. Er hatte sie wütend gesehen, verängstigt und trotzig, stolz und verletzlich. Er hatte zugesehen, wie sie darum rang, von den Menschen auf der Insel akzeptiert zu werden, zu ihnen zu gehören, indem sie ihre Lebensweise lernte, selbst wenn das hieß, bis zu den Ellbogen in Fischinnereien zu stecken oder harte körperliche Arbeit zu verrichten. Er vermutete, dass sie die Arbeit als eine Art Wiedergutmachung verstanden hatte, weil die anderen Bewohner der Insel bestätigt hatten, dass er mit seiner Meinung über Arthur Sinclair recht hatte.
Es hatte ihn überrascht, dass sie bereit gewesen war, ihren Vater in einem kritischen Licht zu sehen. Soweit Tom es wusste, hielten die Reichen gewöhnlich zusammen und leugneten einfach, dass irgendeiner von ihnen etwas falsch gemacht haben könnte. Doch Deborah hatte zugehört. Sie hatte ihnen geglaubt. Sie hatte Anteil genommen.
Während er sich durch den brausenden Wind kämpfte, dachte Tom an all die vielen verschiedenen Seiten, die sie von sich gezeigt hatte … und kam am Ende zu dem Schluss, dass er sie doch nicht so gut kannte. Sie war ihm immer noch so sehr ein Rätsel, wie sie es in der ersten Nacht gewesen war. Er spürte, sie verbarg irgendetwas tief in sich, und er wollte wissen, was es war. Gedanken, Befürchtungen, Geheimnisse – er wollte alles über Deborah erfahren. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Wissen anfangen sollte, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie besser kennenlernen zu wollen. Er kam sich wie ein Narr vor, das nicht schon eher begriffen zu haben. Sie war eine Frau, die er kennen wollte. Er war ihr Entführer, aber auf gewisse Weise war sie es jetzt, die ihn gefangen hielt. Und er war zu dumm gewesen, das kommen zu sehen.
Die Gedanken schossen ihm kreuz und quer durch den Kopf. Die Eiseskälte machte es schwer, vernünftig nachzudenken, und er fühlte sich wie ein Wahnsinniger. Beten Verrückte eigentlich? fragte er sich. Lass mich nur bis zur Insel kommen. Lass mich nur bis zur Insel und zu Deborah kommen.
Er weigerte sich, aufzugeben, bevor er sie gefunden hatte.
Fast war er da. Aber die Wucht des Sturmes zehrte an seiner Entschlossenheit. Er war stundenlang über das Eis gelaufen; sicherlich würde er gleich Isle Royale sehen können. Er blieb stehen und spähte durch die wie Nadeln stechenden Schneekristalle auf seinen Kompass, versuchte herauszufinden, ob er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Der Hund rührte sich unter seinem Mantel und wimmerte. Es fiel Tom alles andere als leicht, sich zu konzentrieren. Etwas beunruhigte ihn. Ein Gefühl, vielleicht auch ein seltsames Geräusch.
Tief unter dem Heulen des Windes nahm er einen neuen Laut war, ein grummelndes Knirschen und Knacken.
Ohne zu zögern, begann er zu rennen. Er rannte um sein Leben, sah nichts als das undurchdringliche Weiß, hörte nichts als das Geräusch, das er zu fürchten gelernt hatte – das unverwechselbare Brechen von Eis.
Ein Teil des Eises löste sich, und der Riss kroch auf ihn zu wie eine schwarze Schlange. Er befand sich auf einer
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