Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
verspürte sie eine leise Wärme, ein kleines Aufflackern von Freude und sie benötigte ein paar Augenblicke, um zu verstehen, was mit ihr auf einmal los war. Es war eine Idee, die sich regte. Deborah war klar, dass Ilsa und Celia jahrelange Übung darin hatten, ihre herrlichen Quilts herzustellen. Wenn sie selbst etwas erschaffen konnte, das auch nur halb so schön wurde, wäre sie zufrieden. Ein Vorhaben. Es war tröstlich, ein Projekt zu haben, eine Aufgabe.
Während sie sich Schere und Stoff zurechtlegte, stellte Deborah verwundert fest, dass sie summte. Endlich etwas, das ihren Tagen Gestalt und Farbe verlieh. Sie war nicht länger Gefangene der weißen Stille des Winters, sondern hatte tatsächlich etwas gefunden, das sie tun konnte.
Sie begann die farbenfrohen Streifen über den Musselin zu streuen. Tom hatte ebenfalls alte zumeist kaputte Kleidungsstücke aufbewahrt, die sie jetzt auch verwenden wollte. Die meisten Stoffreste aus dem Korb stammten von zerrissenen Kinderhemden und Nachthemden, von denen sie wusste, dass sie früher einmal Asa gehört hatten. Wie viel schöner war es doch, aus den Resten einen Quilt zu nähen, statt sie in den Lumpeneimer zu werfen. Sie hatte praktisch keine Erinnerung an ihre Mutter. Möglicherweise würde sie Tom mit einem Andenken an Asa erfreuen können. Vielleicht half ihm die Decke, die Erinnerung an all das zu bewahren, was er mit dem Jungen erlebt hatte, den sie nie kennengelernt hatte.
Sie begann mit der Arbeit, versuchte sich Ilsas und Celias Erklärungen ins Gedächtnis zu rufen und gruppierte die Fetzen nach Farben sortiert. Sie stand auf einem Hocker über dem Arbeitsplatz, betrachtete ihr Werk konzentriert wie ein Künstler. Der Zeichenunterricht in Miss Boylans Schule war alles andere als anregend gewesen. Abgehalten von darbenden Künstlern, die gelangweilt waren und die ihre Schüler, alle im Leben besser gestellt als sie selbst, nicht unbedingt mochten, waren Deborah die Stunden zäh und öde vorgekommen. Jetzt allerdings machte sie sich mit Elan und Feuereifer ans Werk. Ganz allein begann sich eine Idee in ihrem Kopf zu formen, und plötzlich konnte sie den fertigen Quilt vor sich sehen, als existierte er in Wahrheit. Sie stellte sich die Gänse und Enten vor, wie sie über den See flogen oder am Ufer entlang schwammen. Das Muster zu ersinnen war eine neue und seltsam aufregende Erfahrung.
Sie konnte nicht sagen, ob sie es gut oder schlecht machte. Sie wusste nur, dass es ihr großes Vergnügen bereitete, die weichen Stoffstückchen zurechtzuschneiden und sie zu einem Bild zusammenzufügen. Das dunkle Blau und Grün erinnerten sie an Wälder und Wasser, der verblichene Denimstoff an den Himmel. Sie dachte daran, wie Celia und Ilsa vorgegangen waren und unterteilte den Quilt in große Quadrate. Zuerst war das Zuschneiden und Zusammenstellen an der Reihe, dann kamen die bunten Stücke auf den Musselin, um zu überprüfen, ob das Muster stimmig war.
Sie widmete sich dieser Aufgabe mit einem Lächeln auf dem Gesicht, und die Nadel bewegte sich bald wie von selbst. Sie genoss jeden Moment des Nähens, fragte sich dabei, ob es daran lag, dass sie noch nie zuvor einen Quilt angefertigt hatte, oder ob es die Arbeit selbst war, die ihr zusagte. Es war egal, entschied sie. Sie hatte eine Beschäftigung gefunden, und sie würde ihr so lange nachgehen, bis sie fertig war. Auf diese Weise war die Aussicht, einen langen Winter allein zu verbringen, auf einmal erträglicher.
Die Arbeit mit den Händen beruhigte auch ihre Gedanken. Erstaunt stellte sie fest, wie gut ihr das Nähen an dem Quilt tat. Die Decke über ihren Schoß gebreitet, war ihr warm und behaglich zumute. Die Sorgen traten in den Hintergrund, so vertieft war sie. Zu dem Zeitpunkt, als sie sich auf ihr Lager neben dem Ofen legte, fühlte sie sich entspannt und schläfrig, nicht länger ängstlich und schreckhaft. Sie wusste, sie wurde schwächer wegen der mageren Kost, von der sie sich ernährte, und den harschen Bedingungen draußen, aber sie begann sich auf sich selbst zu verlassen, zu lernen, dass sie doch zu mehr imstande war, als sie bisher geglaubt hatte.
In dieser Nacht träumte sie wieder von dem Bären.
Der Albtraum kam auf Zehenspitzen, wie er es immer tat, mit geflüsterten Drohungen, die sich wie giftiger Wein in ihr ausbreiteten. Der auf die Hinterbeine aufgerichtete Bär kam auf sie zu, sie stolperte rückwärts, stürzte, trommelte hilflos mit den Füßen auf den Boden des rot
Weitere Kostenlose Bücher