Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
geschienen hatte, die von einem Schornstein aufstieg.
Er stöhnte und bewegte seine Füße, unsicher, ob sie noch da waren, weil er sie nicht spüren konnte. Das Gefühl kehrte mit Wucht zurück. Ein sengender Schmerz durchfuhr ihn, und er fluchte mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Sicht verschwamm, als befände er sich unter Wasser und schaute hoch.
Dann klärte sich sein Blick und Deborah war wieder scharf umrissen. Als er unterwegs gewesen war, hatte er die ganze Zeit ihr Gesicht vor seinem inneren Auge gesehen. Das hatte ihn immer weitergehen lassen, als wäre sie der Heilige Gral. Sie war sein Leuchtfeuer gewesen, sein erklärtes Ziel, während er ums Überleben kämpfte. Vielleicht hatte sie ihn sogar am Leben gehalten. Aber sie sah … anders aus. Verschwunden war die Hochnäsigkeit, die Verachtung, das vornehme Getue. Jetzt sah sie einfach ermattet und sorgenvoll aus.
„Denken Sie, Sie werden wieder gesund?“, fragte sie.
Wieder blinzelte er und versuchte zu schlucken. „Ich denke schon.“
Der Hund kam angetrottet und leckte ihm über die Wange.
Tom verzog das Gesicht, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken, obwohl dabei seine Unterlippe aufriss. „Also hat die Ratte überlebt.“
„Es war süß von Ihnen, dass Sie ihn mitgenommen haben.“
Süß. Niemand hatte ihn zuvor als süß bezeichnet. Das hätte niemand gewagt. „Das habe ich nicht. Der dumme Köter ist mir gefolgt.“
Sie hielt ihm eine Tasse hin. „Tee mit Honig. Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie zurückgekommen sind.“
Das konnte er selbst auch nicht. Wenn sie wirklich nur seine Geisel war, warum hatte er dann das Eis überquert, um sie zu finden?
Er griff nach der gefleckten Emailtasse, aber seine blasenübersäten Finger waren ungeschickt, stießen dagegen. Deborah zog sie weg, bevor die heiße Flüssigkeit überschwappen konnte. „Hier“, sagte sie. „Lassen Sie mich helfen.“
Obwohl er es verabscheute, so schwach zu sein, wartete er geduldig, während sie die Tasse abstellte und ihm ein Kissen in den Rücken schob. Dann hielt sie ihm die Tasse an die Lippen. Er trank hastig das stark gesüßte lauwarme Getränk. Als er ausgetrunken hatte, fühlte er sich gleich entschieden besser, kräftiger.
Er richtete sich ein wenig auf und schaute sich im Raum um. Es war Morgen. Er befand sich in seinem Haus in der Siedlung.
„Wo sind meine Kleider?“, fragte er.
Farbe stieg ihr in die Wangen. „Ich habe sie am Feuer zum Trocknen aufgehängt.“
Er betrachtete Deborah und versuchte sich vorzustellen, wie sie ihn auszog. Das Bild wollte sich nicht formen, aber trotz seiner Zerschlagenheit und Schwäche zeigte er eine sehr natürliche Reaktion. „Ich wünschte, ich wäre wach gewesen.“
„Ich hatte solche Sorge, dass Sie am Ende in den feuchten eisverkrusteten Kleidern erfrieren.“
„Kann mir denken, dass ich dieselbe Sorge hatte.“
„Ich war der Meinung, ich …“ Sie brach ab und schaute rasch fort.
Er folgte ihrem Blick zu der Schrotflinte auf dem Boden. Er würde niemals eine Schusswaffe so herumliegen lassen. Bruchstückhaft kehrte die Erinnerung zurück. Er erinnerte sich wieder, die schmale Rauchsäule aus dem Schornstein aufsteigen gesehen zu haben. Ein schwacher Lichtschimmer – Mondschein auf einer vereisten Fensterscheibe. Der Hund, der über den Schnee lief. In diesen Augenblicken hatte er solche Hoffnung verspürt. Endlich habe ich dich gefunden. Er erinnerte sich, das gedacht zu haben.
Dann hatte er die Tür aufgestoßen, und es hatte einen lauten Knall gegeben, eine Explosion.
„Sie haben auf mich geschossen“, sagte er und setzte sich gerade hin. Schwindel erfasste ihn, aber er blieb aufrecht sitzen, bis alles aufgehört hatte, sich um ihn zu drehen.
Auf ihrem Schoß presste sie krampfhaft die Hände ineinander. „Das wollte ich nicht.“
„Sie haben die Waffe auf mich gerichtet und den Abzug betätigt. Wie soll ich das anders deuten?“
„Was ich meine, ich dachte, Sie seien ein Eindringling. Ein Bär, um genau zu sein.“
„Ein Bär?“
„Es war dunkel, und Sie trugen einen Bärenpelzmantel.“
„Mist.“
Sie zuckte zusammen. „Ich habe danebengeschossen“, verteidigte sie sich und hob ihr Kinn. „Nun, größtenteils wenigstens.“, fügte sie hinzu und senkte schuldbewusst den Kopf.
Er entschied, es war Zeit aufzustehen und selbst zu sehen, welchen Schaden sie angerichtet hatte. Er schob die Decken zur Seite und beachtete ihr empörtes Keuchen nicht weiter.
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