Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
Lagerfeuergeschichte. Die Männer, die ihre Körperwärme miteinander geteilt und sich so vor dem Erfrieren gerettet hatten. Haut an Haut.
Alles in ihr sträubte sich dagegen, scheute vor der Idee zurück. Sie redete sich gut zu, sagte sich, es sei das einzig Vernünftige, was sie tun konnte. Es ging schließlich um Leben und Tod. Das hier hatte nichts damit zu tun, wie sich Mann und Frau berührten, versuchte sie, sich zu beruhigen. Es war ihre Pflicht, es zu tun.
Sie entschied, nicht länger darüber nachzudenken. Sie handelte einfach. Rasch streifte sie ihre Kleider ab, hob die Decken an und schlüpfte darunter, zögernd zuerst, dann aber entschlossener. Der Mann war fast erfroren. Neben ihr fühlte er sich wie ein riesiger Eisberg an. Sie musste ihre Körperwärme mit ihm teilen. Wenn sie sich weigerte, würde er sterben.
Sie hatte das Gefühl, als brennte in ihr ein Feuer, und sie wunderte sich, wie um alles auf der Welt er so kalt sein konnte. Energisch gab sie sich einen Ruck und schlang ihre Arme um ihn. Er war so groß, dass sie ihn nicht umfangen konnte. Sie streckte eine zitternde Hand aus und legte sie ihm auf die Schulter, spürte einen Schlag, und zuckte zurück, als hätte sie einen heißen Ofen berührt. Es tat weh zu atmen. Befürchtungen bestürmten sie, schreckliche Eindrücke drangen auf sie ein. Der Körper eines Mannes, dicht an ihren gepresst. Sein Geruch, das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein.
Erschrocken rückte sie ein Stück von ihm weg, und einen schwindeligen Moment verlor sie sich, zog sich für eine Weile an den besonderen Ort zurück, weit weg von hier. Dann trat die Welt um sie herum wieder in den Vordergrund, die Stille des Winters, der Feuerschein und der verletzte Mann, der halb tot auf dem Boden lag.
Los, berühr ihn, sagte sie sich. Fass ihn an.
Sie versuchte es erneut, streckte eine Hand aus und verspürte einen so starken Widerwillen, dass sie fast geweint hätte. Sie musste ihre Furcht überwinden. Sie musste Tom Silver mit ihrem Körper wärmen.
Dieses Mal blieb ihre Hand da, wo sie sie hingelegt hatte – auf seiner Brust. Aber um ihm wirklich helfen zu können, musste sie sich noch näher zu ihm legen. Die Angst schien sie beinahe zu lähmen, und sie schloss die Augen, dachte an angenehme Dinge. Das Trällern einer Lerche vor ihrem Fenster. Eine Unterhaltung mit ihren Freundinnen auf einer sonnigen Veranda. Eine Kutschfahrt durch Lincoln Park.
Berühr ihn. Je länger sie wartete, desto mehr brachte sie Tom Silver in Gefahr. Ein Teil von ihr fragte sich zynisch, warum er gekommen war. Um sie zu retten oder seine Geisel zurückzugewinnen?
Oder war er gekommen, weil er sich um sie sorgte, weil er sie nicht allein auf einer zugefrorenen Insel im Winter lassen wollte?
Der Gedanke ließ sie erschaudern. Sie holte tief Luft, legte ihren Kopf auf seine Schulter und schob sich dann über ihn auf seine Brust. Sie konnte seinen Herzschlag hören, den flachen Atem spüren, unter dem sich sein Brustkorb leise hob und senkte. Sie presste sich gegen ihn, ihren Oberschenkel an seinen, ihren Bauch an seinen.
Ihre Brust an seine Brust.
Die Angst drohte sie zu überwältigen, aber sie ignorierte sie so gut es ging. Sie schlang die Arme um seine Mitte und drückte ihre Beine gegen seine. Sie durfte einfach nicht nachdenken. Stattdessen ließ sie Bilder und Eindrücke im Geiste Revue passieren. Die Sonne auf dem See. Scherzende Stimmen und norwegische Witze aus dem Fischhaus. Tom Silver, wie er mit je einem hundert Pfund schweren Sack Mehl auf der Schulter durch den Ort ging. Quiltmuster. Eine Melodie von Lightning Jacks Mundharmonika.
Möglicherweise verliere ich gerade den Verstand, dachte sie, aber sie klammerte sich an die Erinnerungen, weil sie sie beruhigten. Die Angst war da, lauerte und wartete darauf, wieder zuzuschlagen, aber das ließ Deborah nicht zu. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die zusammenhanglosen Gedanken, die nichts weiter bezweckten, als zu verhindern, dass sie schrie.
Und während sie so an nichts dachte, ihre Wange an Toms Brust schmiegte, geschah etwas Seltsames. Oder vielmehr, es geschah nichts . Er rührte sich nicht, fasste nicht nach ihr, schloss nicht seine große Pranke um ihr Handgelenk, griff sie nicht an. Er tat ihr nicht weh und bedrohte sie nicht.
„Natürlich nicht, du Gänschen“, sagte sie halblaut. „Er ist schließlich ohnmächtig.“
Männer konnten recht erträglich sein, wenn sie bewusstlos waren.
Der Hund kroch zu ihnen
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