Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
am liebsten vor Freude gesungen hätte, was sie sich aber verkniff.
Am zweiten Tag schon war es ihm gut genug gegangen, um sie zu necken, weil sie inzwischen in dem Bett oben auf dem Dachboden schlief, das eigentlich seins war.
„Ich habe nicht mit Gesellschaft gerechnet“, verteidigte sie sich.
„Das glaube ich, Prinzessin.“
Sein Grinsen ließ sie erröten. Sie hatte nicht gewusst, was sie sonst hätte tun sollen. Da Tom Silver verletzt vor dem Ofen lag, hatte sie einfach das Bett auf dem offenen Dachboden genommen. Dann war ihr ein Gedanke gekommen. „Wenn die ganze Siedlung verlassen ist, könnten wir vielleicht in verschiedenen Häusern wohnen.“
„Warum?“, hatte er gefragt. „Denken Sie, wir beleidigen das Anstandsgefühl der Schneegänse und der Murmeltiere?“ Er hatte gelacht und die Idee als albern bezeichnet. „Man klammert sich nicht an Sitte und Anstand, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht. Behalten Sie das Bett hier, ich nehme wieder das oben.“
Und das hatte er auch getan, war ohne zu klagen auf den Boden hochgestiegen, während sie die Matratze wieder zu dem Bettrahmen im angrenzenden Zimmer geschleppt hatte. Wie es bereits die ganze Zeit über gewesen war, seit sie auf der Insel angekommen waren, lebten sie in unmittelbarer Nähe zueinander, schienen aber Meilen weit voneinander entfernt zu sein.
Beinahe hätte sie gelächelt, voller Freude über seine deutliche Genesung und vielleicht auch – nur ganz vielleicht – Stolz auf ihren eigenen Anteil daran.
„Morgen“, sagte er.
„Guten Morgen“, erwiderte sie und blickte wieder aus dem Fenster. „Wissen Sie, ich glaube, ich habe herausgefunden, warum Tiere Winterschlaf halten.“
„Ja?“
„Damit sie nicht jeden Tag das hier sehen müssen.“
Er lachte kurz und begann dann, das Holz neben den Kamin aufzuschichten.
„Allerdings“, überlegte Deborah laut und schaute in den trüben stillen Tag draußen, „hat der Schnee auch sein Gutes. Er bedeckt alle Mängel und Unzulänglichkeiten, alles Hässliche in der Landschaft.“
„Darüber habe ich nie nachgedacht.“
Das überraschte sie nicht. Er war ein Mann, der sehr … praktisch veranlagt war.
Sie drehte sich um und sah, dass er Holz in den Kamin nachlegte. Der Blasebalg keuchte und Funken stoben auf, als Tom die Flammen anfachte. Nun waren sie beide Gefangene – Gefangene des Winters – und lebten unter einem Dach. Sie waren zwar keine echten Freunde geworden, aber immerhin kamen sie gut miteinander aus. Gemeinsam erledigten sie den Haushalt, entwickelten eine gewisse Routine und passten sich aneinander an. Da sonst niemand da war, fühlte sich die Atmosphäre anders an, und sie lernten sich auf neue, andere Weise kennen.
Er stand früh auf, schien einen sechsten Sinn dafür zu haben, wann sich der erste zarte Schimmer des Morgengrauens im Osten am Horizont zeigte. Am Morgen war das Erste, was sie von ihm hörte, das Knarzen der Leiter, wenn er vom Dachboden hinunterstieg, gefolgt von plätscherndem Wasser am Waschtisch. Dann vernahm sie das mahlende Geräusch der Kaffeemühle, und kurze Zeit später drang der Duft frisch aufgebrühten Kaffees zu ihr ins Zimmer. Ohnehin war Tom Silver ein Mann, der nicht viele Worte machte, aber bis zur ersten Tasse Kaffee war er besonders schweigsam.
„Worauf starren Sie?“ Er wischte sich mit dem Rücken einer behandschuhten Hand über die Stirn.
„Auf Sie“, platzte sie heraus.
„Warum?“
„Ich habe nie zuvor erlebt, wie ein Mann seinen Alltag bestreitet.“ Als ihr aufging, was sie eben gesagt hatte, wurde sie über und über rot. „Ich meine, natürlich ist da mein Vater und … nun, ich habe nie wirklich darauf geachtet, was ein Mann den ganzen Tag über so tut.“
„Glauben Sie mir, ich hatte schon bessere Tage als diesen.“ Er schloss die Ofentür und regelte die Luftzufuhr. „Wenn jeder Tag wie dieser wäre, würde ich mich erhängen.“
„Nun“, sagte sie, von seiner negativen Bemerkung irritiert. „Nun, ich verstehe Sie nicht. Sie wirken auf mich wie ein Mann, den es nicht im Geringsten stören würde, den ganzen Winter über in einer Hütte zu verbringen.“
„Nur, wenn ich mir meine Gesellschaft aussuchen kann.“
„Ha“, trumpfte sie auf. „Sie haben mich ausgewählt. In Chicago haben Sie entschieden, mich hierher zu verschleppen.“
„Das war, bevor ich wusste, wie Sie sind. Verdammt, das war unverzeihlich leichtsinnig von Ihnen, den Landesteg zu verlassen, um Steine zu
Weitere Kostenlose Bücher