Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
Leben in Chicago gedacht. An dem Abend des Feuers hätte sie zusammen mit Philip seinen Vortrag besuchen sollen. Sie runzelte die Stirn, fragte sich, wie sich wohl alles entwickelt hätte, wenn sie an diesem Abend mit ihren Freundinnen gegangen wäre.
„Denken Sie, es steht irgendwem zu, den Leuten zu sagen, was sie lesen sollen?“, hakte Tom nach. „Was sie denken sollen?“
„Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Mein Vater hat immer gesagt, Handeln sei besser als jede Philosophie.“ Sie bemerkte den skeptischen Ausdruck auf Toms Gesicht. „Es ist Ihnen unangenehm“, sagte sie, „sich meinen Vater als Mensch nicht als Monster vorzustellen.“
Er ballte eine Hand zur Faust. „Habe ich denn eine Wahl, nach all dem Leid, das er verursacht hat?“
„Aber Sie haben ihn übertrumpft, sehen Sie das nicht?“ Sie ließ sich auf der Bank am Ofen nieder und nahm Nadel und Quiltrahmen. So sehr ihr Vater ihr auch ein Rätsel war, so verstand sie doch einige Seiten an ihm gut – erkannte Bestimmtes ganz klar. „Ich bin mir sicher, dass Sie nicht begriffen haben, wie wichtig es gewesen wäre, dass ich Philip Ascot heirate. Dadurch hätte mein Vater das eine erreicht, das ihm all seine Millionen niemals kaufen können – Ansehen und Respekt, Zutritt zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen des Landes. Die Ascots werden sogar von der englischen Königsfamilie empfangen. Dass ich in diese Familie einheirate, wäre die krönende Errungenschaft meines Vaters gewesen. Er hätte miterlebt, wie all seine Träume wahr geworden wären. Sie haben ihm diesen Traum gestohlen. Können Sie daraus keine Befriedigung beziehen?“
Bei der Erwähnung von Philips Namen malte sich Verachtung auf Toms Züge. „Ein Fausthieb, vielleicht zwei, soweit ich mich erinnere, und ich habe mir nicht einmal die Haut auf meinen Knöcheln aufgekratzt. Wenn Sie meine Verlobte wären, hätte ich mir, zur Hölle, wesentlich mehr Mühe gegeben, Sie in der Nacht des Feuers zu retten.“
Seine Worte erzeugten einen Augenblick des Schwindels, den sie rasch niederkämpfte. „Ich hätte mich selbst retten und Ihnen und ihm entkommen sollen“, erwiderte sie. Sie machte eine Pause, wartete, bis sie sich wieder in der Gewalt hatte. Es war nicht schicklich, Privatangelegenheiten mit Tom Silver zu besprechen.
Er schwieg, und sie hoffte, er würde das Thema auf sich beruhen lassen. Aber nach einer Weile sagte er: „Was ist mit Ihnen, Prinzessin? Was ist Ihr Traum? Leben Frauen wie Sie auch für gesellschaftlichen Erfolg?“
„Ich werde nicht lügen. Frauen wie ich leben und sterben für Status.“
„Was soll das heißen?“
„Meine Stellung in der Gesellschaft und welchen Eindruck ich auf die Leute mache, die von Bedeutung sind, sollten für mich das Wichtigste im Leben sein.“ Ihre Nadel schien durch den Stoff zu fliegen.
„Ja? Und sind sie es?“
„Das waren sie – bis zum Feuer. Was übrig geblieben ist, nachdem alles verbrannt ist, das ist alles, was zählt. Es war hart, zu verstehen, dass ich wie eine Figur auf der Bühne gelebt habe, mich bewegt und geredet habe, wie es von mir verlangt wurde. Aber das war nie wirklich ich.“
Er runzelte die Stirn. Sie fragte sich, ob er das tat, um seine Überraschung über ihre Unverblümtheit zu überspielen. „Wer also war es dann?“
Sie senkte den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen. Sie kannte niemanden, der die Dinge so buchstäblich nahm wie er. „Ich meine, dass ich mich nicht so verhalten habe, wie ich in Wahrheit bin. Ich habe immer die Erwartungen von irgendwem erfüllt. Die meines Vaters. Die, die im Mädchenpensionat an mich gerichtet wurden. Die von Philip Ascot und seiner Familie. Ich habe nie für mich selbst gedacht. Ich habe zugelassen, dass andere mir diktieren, wer ich bin und wie ich mein Leben zu führen habe.“
„Und jetzt?“ Er nahm eine kleine Zange und fasste damit einen kleinen Haken, hielt ihn fest, während er die Angelschnur durch die Öse fädelte.
„Jetzt bin ich mich mitten im Nirgendwo. Mein Vater will mich nicht zurück, weil ich nicht länger einen Wert für ihn habe.“ Die Worte brannten ihr in der Kehle. Der Schmerz über die Zurückweisung durch ihren Vater war jetzt noch so tief und scharf wie an dem Tag, an dem das Telegramm gekommen war. Insgeheim hatte sie die Hoffnung nie aufgegeben, dass er es sich noch einmal überlegen würde, dass sie, wenn sie irgendwann aufschaute und auf den See blickte, die Triumph sehen würde, wie sie in den
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