Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
irgendwo weit weg zu sein. Stattdessen holte er einen Stuhl und bedeutete ihr, sich darauf niederzulassen, was sie auch tat. Er nahm einen anderen Stuhl und drehte ihn um, setzte sich rittlings darauf, verschränkte die Arme und stützte sie auf die Lehne.
„Hören Sie auf, mich anzustarren, als wäre ich irgendeine Kirmesmissgeburt“, sagte sie.
„Das tue ich gar nicht“, entgegnete er.
„Aber Sie starren mich an.“
„Keine Missgeburt, sondern jemanden, der ein paar Dinge erklären wird.“
Ihr Kinn zitterte.
„Ohne sich in Tränen aufzulösen“, schob er schnell hinterher. Wenn er freundlich und sanft mit ihr redete, weinte sie. Aus irgendeinem Grund wirkte sie kräftiger, wenn er unfreundlich zu ihr war.
Sie holte Luft, schluckte, atmete noch einmal tief ein. „Woher wissen Sie das?“
Er hörte solche Scham und Qual in ihrer Stimme, dass er es fast bereute, sie gefragt zu haben. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ihnen ist häufig übel, besonders am Morgen. Das geht den meisten Frauen so, die in anderen Umständen sind.“
„Ach wirklich?“
Er konnte sich nicht vorstellen, dass das zu den Dingen gehörte, die man ihr im Mädchenpensionat beigebracht hätte. „Lightning Jack ist es auch aufgefallen. Er hat vermutet, Sie und ich wären … dass wir eine …“ Er brach ab, fragte sich, wie es mit einem Mal so heiß und stickig in der Hütte hatte werden können. „Ich habe ihm gesagt, dass wir das nie getan haben“, fügte er rasch hinzu. „Aber dann habe ich angefangen nachzudenken; sie waren verlobt und sollten bald heiraten, daher hatten Sie vielleicht … wie ein verheiratetes Paar.“
Er versuchte, sich so vorsichtig wie möglich auszudrücken, aber es funktionierte einfach nicht. Sie sah noch entsetzter aus als zuvor.
„Warum müssen Sie … davon reden?“, fragte sie schwach.
„Weil es an Ihnen nagt, Sie innerlich auffrisst – wie Gift, verdammt noch einmal.“
„Ich habe keine Ahnung, wie ich es erklären …“
Er lachte rau, entschlossen, die Wahrheit zu erfahren. „Reden ist das eine, was Sie besser machen als jeder andere, den ich je getroffen habe. Daher reden Sie. Es hat noch nie geschadet zu sprechen.“
Das ärgerte sie offenbar, aber es tat ihm kein bisschen leid, dass er sie erzürnte. Alles war besser als ihr zerstörerischer Kummer. „Das hier ist privat“, sagte sie. „Sie dürfen niemals …“
„Kein Problem“, versicherte er ihr. „Vertrauen Sie mir. Nur heraus damit – reden Sie einfach drauf los.“
26. KAPITEL
B egriff er nicht, dass sie nicht reden konnte? Wusste er nicht, dass es nicht die Worte dafür gab, ihm zu erzählen, was sie all diese Wochen vor ihm verborgen hatte? Sie fühlte sich, als schöbe Tom Silver sie durch einen langen dunklen Tunnel, obwohl alles in ihr sich dagegen sträubte, an diesen finsteren Ort zu gehen. Bis jetzt hatte sie sich nicht gestattet, darüber nachzudenken. Jedes Mal waren die Erinnerungen auf sie eingedrungen, und sie war vor ihnen geflohen. Aber das hatte nicht geholfen, Scham und Schmerz zu überwinden.
Der Damm war bei einer einfachen Frage gebrochen. Sind Sie in anderen Umständen?
Sie konnte sich nicht vor der Vergangenheit verstecken, weil sie Teil von ihr war. Sie musste zurückkehren, zurück in jene Nacht, in den Augenblick, zu dem Vorfall, der ihr ganzes Leben verändert hatte. Ihr war klar, sie musste darüber reden, und zwar bald, aber sie putzte sich erst einmal mit dem Handtuch, das er ihr gegeben hatte, die Nase, um Zeit zu gewinnen und ihre Gedanken zu sammeln. Tom Silver wartete einfach, genügsam und geduldig, aber eindeutig nicht willens, einen Rückzieher zu machen.
Sie schloss die Augen und zwang sich, den Abend vor dem Feuer noch einmal zu durchleben. Philip hatte sie in die Oper ausgeführt, auch wenn sie nicht viel von der Vorstellung gesehen hatte. Sie würde nie vergessen, wie sie zugeschaut hatte, wie Don Giovanni Zerlina entführte, um sie zu verführen, aber Zerlina hatte geschrien und wurde gerettet.
Deborah hatte nicht geschrien.
Vielleicht hätte sie das tun sollen, um Hilfe rufen, aber ihr ganzes Leben lang hatte man ihr beigebracht, sich still und höflich zu verhalten. Unterwürfig. Selbst wenn sie sich bedroht fühlte. Sie hatte versucht, sich zu beruhigen, und sich gesagt, dass es schließlich Philip war. Der Mann, den sie zu heiraten versprochen hatte. Es bestand kein Grund, ihn zu fürchten.
Er hatte ihre Hand genommen, Deborahs gezischten Protest
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