Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
mir.“
Der Wahnsinnige. Das dunkle Haar wild zerzaust, Kampfeslust im Blick ragte er hoch über der Menge auf, die auf der Straße oberhalb des Ufers Schutz gesucht hatte.
Philip ließ ihren Arm los. „Da irren Sie“, entgegnete er ungläubig lachend. „Gehen Sie zur Seite, Mann. Sie sind im Weg, und ich habe es eilig.“
„Philip, dieser Mann ist eine Gefahr für uns alle“, erklärte Deborah stockend. „Er hat versucht, meinen Vater umzubringen.“
Als der Mann mit der Kleidung aus Wildleder nähertrat, fluchte Philip und schwang abermals die Peitsche. Die geflochtene Lederschnur zischte durch die Luft, aber anders als der Hund zuckte der Verbrecher nicht zurück, ja, er blinzelte nicht einmal. Er hob einfach eine Hand, die etwa die Größe eines Schinkens hatte, und fing die Schnur im Flug auf.
Wie ein erfahrener Angler zog er daran, holte Philip wie eine Forelle ein. Wieder fluchte Philip, während er nach vorne kippte und von dem Kutschbock fiel. Es war schwer zu sagen, ob er zufällig mit der Faust des anderen Mannes zusammenstieß oder ob der eigens zu dem Hieb angesetzt hatte, der Philip bewusstlos schlug. Alles, was Deborah mit Sicherheit sagen konnte, war, dass Philip Ascot IV. ein ungesundes Stöhnen entfuhr, und er dann wie ein Sack Pferdehafer auf dem Boden landete.
Sie betrachtete ihn einen Moment lang stumm. Der feine Überrock war verrutscht, sodass sie eine kleine Pistole mit Perlmuttgriff in dem Kummerbund seiner Hose stecken sah. Wie merkwürdig, dass Philip eine Waffe bei sich trug. Doch inzwischen hatte sie begriffen, dass sie ihn gar nicht wirklich kannte. Ohne darüber nachzudenken, bückte sie sich, um die Pistole an sich zu nehmen.
Eine große rußgeschwärzte Hand packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf und wollte sich aus seinem Griff winden, aber der Fremde hielt sie unerbittlich fest. Wie dumm von ihr, dass sie nicht schneller reagiert und sich Philips Waffe geschnappt hatte, solange sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Nicht, dass sie auch nur im Entferntesten imstande gewesen wäre, eine Handfeuerwaffe zu benutzen. So jedoch besaß sie nichts, noch nicht einmal eine Hutnadel, um sich zu verteidigen.
Der Mann zerrte sie von der Straße weg, zurück zum Seeufer.
„Nein!“ Sie spürte Trotz in sich erwachen. Entschlossen stemmte sie sich gegen ihn, bohrte ihre Absätze in die grasbewachsene Böschung. „Lassen Sie mich los!“
Er ignorierte ihren Protest und ihre Gegenwehr, schleifte sie einfach mit brutaler Kraft hinter sich her. Gütiger Himmel, was hatte sie getan? Warum hatte sie gezögert, zu Philip in die Kutsche zu steigen und sich in Sicherheit zu bringen?
Ihr kam plötzlich der Gedanke, wie ein Blitz, dass es noch eine dritte Möglichkeit gegeben hatte. Sie hätte selbst fliehen können – sollen. Aber sie hatte die Chance nicht ergriffen. Unabhängigkeit war für sie keine Option gewesen.
„Hilfe!“, rief sie den Menschen zu, an denen sie vorbeikamen. „Helfen Sie mir! Dieser Mann hier will mich entführen!“
Einige in Hörweite blickten sie neugierig an, aber die meisten schüttelten nur den Kopf und wandten sich wieder ihren eigenen Belangen zu. Zweifellos hatten sie heute Nacht Verwunderlicheres zu Gesicht bekommen als eine verängstigt schreiende Frau.
„Bitte“, versuchte sie es erneut. „Ich kenne diesen Mann nicht. Er entführt mich. Um Himmels willen, bitte helfen Sie mir!“
Ein Arbeiter in Hosen und Hemdsärmeln verstellte ihnen den Weg. Der Wilde sagte nichts, schaute ihn nur warnend an, worauf der andere wortlos zur Seite trat. Deborah realisierte, dass ihr Peiniger mit seiner enormen Größe und seinen breiten Schultern einen derart Furcht einflößenden Anblick bot, dass niemand es wagte, ihn anzugreifen, und ihre Hoffnung auf Rettung sank. Dennoch schrie sie weiter, und ein Priester in einem langen schwarzen Gehrock kam zu ihnen, rollte seine weiten Ärmel zurück und entblößte überraschend kräftige Unterarme.
„Immer langsam“, sagte er mit schwerem irischem Akzent. „Das arme Ding ist ja außer sich vor Angst.“
„Das stimmt gewiss, mon frère “, erwiderte der hünenhafte Mann neben ihr. „Meine arme Ehefrau hier hat heute Nacht Schlimmes erlebt, und sie ist einfach nicht sie selbst.“
„Eh… Ehe…“ Deborah war zu empört, um klarzustellen, dass seine Worte gelogen waren.
„Ich denke, nach und nach wird sie sich wieder beruhigen“, meinte ihr Entführer und legte ihr einen Arm um die Taille. Sein Griff
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