Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
Bedenken nicht geduldet werden würden.
Dann erlebte Deborah einen Augenblick absoluter Klarheit. Sie hielt sich mit einer Hand an der Leiter fest, während eine Welle das Heck des Schiffes anhob, und das Wasser bis auf Höhe ihrer Knie steigen ließ. Es lag in ihrer Macht, die Sache hier enden zu lassen, jetzt.
Ehe sie es sich hätte anders überlegen können, öffnete sie einfach die Hand und ließ die Leiter los. Kurz nur war der freie Fall, dann tauchte sie in das kalte Wasser ein. Sie spürte, wie ihre Röcke sich blähten, einen Augenblick die Luft hielten, ehe sie sie nach unten zu ziehen begannen, immer weiter …
Eigentlich war es zu spät, sich noch einmal anders zu entscheiden, aber genau das tat Deborah. Etwas tief in ihr protestierte, lehnte sich auf. Sie wollte nicht sterben, egal wie elend es ihr ging. Sie wollte leben. Sie trat mit den Füßen, versuchte an die Oberfläche zu kommen, war so gierig nach Luft, dass sie fürchtete, ihre Lunge würde platzen. Ich schaffe das nicht, dachte sie, öffnete die Augen einen Spalt weit und sah um sich herum nur Schwärze. Es gelang ihr nicht, sich umzubringen, und es gelang ihr nicht, sich zu retten.
Ihr Arm stieß gegen etwas Hartes, Raues – ein Stück Treibholz oder vielleicht auch ein Schiffsteil – und sie merkte, wie sie hochgehievt wurde. Sie hustete und spuckte Wasser, dann holte sie krampfhaft Luft. Erst da begriff sie, dass ihr Entführer ihr in den See nachgesprungen war. Klatschnass sah er noch unerbittlicher aus, fasste die Leiter mit seiner freien Hand und holte sie mit der anderen aus dem Wasser, bugsierte sie über die Bordwand auf den kleinen Kutter, behandelt sie, als wäre sie irgendein Stück störrisches Vieh. An Deck betrachtete er sie angewidert.
„Was, zur Hölle, ist mit Ihnen los, Frau?“, verlangte er zu wissen.
Sie wusste, er erwartete keine Antwort auf seine Frage, und eine ganze Weile konnte sie ohnehin nicht sprechen. Ihre Beine zitterten vor Anstrengung. Der kleine Hund begrüßte sie begeistert, rannte im Kreis um sie herum und bellte freudig. Sie war zu erschöpft, um mehr zu tun, als sich auf den Boden zu setzen, inmitten ihrer nassen, wirren Röcke, und ins Leere zu starren. Nach einiger Zeit beruhigte sich ihr Atem wieder. „Smokey“, sagte sie zu dem kleinen Hund. „Das wird dein Name sein.“
Der Wilde vertäute das Ruderboot mit dem Kutter. „Wollen Sie etwa sagen, Sie kennen diesen Hund gar nicht?“, fragte er ungläubig. „Wir haben einen Streuner aufgelesen?“
„Wenn Sie keine Fremden auf Ihrem Boot mögen, lassen Sie uns beide einfach gehen“, forderte sie ihn heraus.
„Wenn die Töle mich stört, ist er Fischköder“, versprach er und zog die Leiter hoch. Ohne ein Wort der Warnung schälte er sich aus seiner durchweichten Lederjacke und dann aus seinem Hemd, entblößte die breite Brust, die schmalen Hüften und die gewaltigen Arme eines Holzfällers. Dann band er die Verschnürung an seiner Hose auf.
Deborah schnappte nach Luft und schaute weg. „Was fällt Ihnen ein! Das ist ungehörig.“
„Ich werde Ihnen verraten, was ungehörig ist: mitten im Oktober in den Lake Michigan zu springen. Und wenn ich genauer darüber nachdenke, ist das nicht einfach nur ungehörig. Sind Sie verrückt oder nur dumm?“
Als sie es wagte, ihn wieder anzusehen, war er in eine Hose aus grobem Stoff und in ein verblichenes Hemd gekleidet und schnürte gerade ein frisches Paar Stiefel zu.
Auf dem Schiff roch es nach Feuchtigkeit und Fisch. Ein breites Deck erstreckte sich hinter dem leicht erhöhten Ruderhaus, davor gab es eine kleine Kabine und Reihen von Kisten, die am Rand vertäut waren. Eine schmale Luke mit einer Klappe aus Holzlamellen führte unter Deck.
Deborah hatte in ihrem Leben reichlich Zeit auf dem See verbracht, aber nie auf einem Schiff wie diesem hier. Zahllose Sommernachmittage war sie auf ihrem Catboot praktisch über das Wasser geflogen oder mit der dampfangetriebenen Jacht ihres Vaters auf dem See gekreuzt. Die Jacht hatte er Mr Vanderbilt aus New York abgekauft, nur damit er etwas besaß, das einmal einem Vanderbilt gehört hatte. Manchmal waren sie sogar weit nach Norden gefahren, bis zu den Schleusen bei Sault Sainte Marie.
Aber es war kein Vergnügungsschiff, auf dem sie sich heute Nacht befand, das wusste sie.
Der Mann überquerte das Deck mit schweren, dröhnenden Schritten. Der kleine graue Hund drückte sich gegen ihre Röcke und knurrte.
Ein Klopfen ertönte von unten, wo,
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