Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
der gefüttert werden muss. Und jetzt haben Sie keine Hoffnung mehr darauf, zurückzuerhalten, was Sie dafür ausgegeben haben, mich zu entführen. Am besten wäre es, mich unverzüglich nach Chicago zurückzuschicken.“
„Für mich hört es sich nicht so an, als erwartete Sie dort ein sonderlich herzlicher Empfang.“
Sie klammerte sich an das Bild von Kathleen, ihre Schwester im Herzen. Kathleen und Lucy und sogar Phoebe würden ihr helfen, sie unterstützen, bis eines Tages vielleicht sogar ihr Glaube an sich selbst wiederhergestellt wäre. „Ich habe nicht nur meinen Vater“, erklärte sie. „Darum müssen Sie sich keine Sorgen machen.“
„Glauben Sie mir, das tue ich nicht.“
Sie musterte ihn. Er schaute sie aus hart und prüfend blickenden Augen an, aber das Bemerkenswerte dabei war, dass er sie zu sehen schien. Keine Handelsware, die man gegen etwas anderes eintauschte. Kein Besitztum, das man benutzte und danach beiseitelegte. Keine Zuchtstute, die gedeckt werden musste. Sondern einfach sie selbst. Was mehr war, als sie sah, wenn sie in den Spiegel schaute.
„Bitte“, sagte sie. „Lassen Sie uns die ganze Sache als beendet betrachten. Ich werde Sie nicht dafür zur Rechenschaft ziehen, dass Sie mich auf diese Insel verschleppt haben, und Sie mich nicht für die Tragödie verantwortlich machen, die die Bergbaugesellschaft meines Vaters verursacht hat. Wir beide werden das hinter uns lassen.“
„So einfach ist es nicht. Es fährt nicht jeden Tag in der Woche ein Schiff von hier nach Chicago.“
„Aber es gibt doch das Postschiff. Ich werde es bis zum Festland nehmen und dann von da aus mit dem Zug oder der Kutsche weiterreisen.“ Sie zwang sich, seinen Blick zu erwidern, obwohl sie sich am liebsten abgewandt hätte. „Es ist vorbei, Mr Silver. Können Sie nicht akzeptieren, dass es vorbei ist?“
Unvermittelt verlor sie die Beherrschung. Die Welle, die sie durchrollte, war einfach zu stark, um länger gegen sie anzukämpfen. Entsetzen wich der Erkenntnis, dass ihr eigener Vater sie zurückgewiesen hatte. Sie spürte, wie ihre Seele welkte, und nichts konnte sie mehr halten. Erst waren ihre Schluchzer leise, so stimmenlos wie ihr Schmerz, aber als sie Luft holte, entrang sich ihrer Kehle ein Stöhnen, in dem solche Qual lag, dass Tom Silver zusammenzuckte und sich umblickte, als wäre er am liebsten weggelaufen.
Aber das tat er nicht. Stattdessen legte er ihr eine Hand auf die Schulter in einem unbeholfenen Versuch, sie zu trösten. „Weinen Sie nicht“, sagte er. „Weinen Sie nicht.“
Deborah bemühte sich um Fassung. Sie nahm das rote Taschentuch, das er ihr reichte, und presste es gegen ihre brennenden Augen. Weinen Sie nicht. Und nach einer Weile bezog sie Ruhe aus einer Quelle innerer Kraft, die sie nie zuvor in sich verspürt hatte. „In Ordnung“, erklärte sie schniefend. „In Ordnung. Ich werde nicht mehr weinen.“
Er bemühte sich nicht, seine Erleichterung zu verbergen, während er ihr das Telegramm aus den Händen zog und es zu einem kleinen Ball zusammenknüllte. „Sie sind der Meinung, dass er nicht blufft. Das muss dann wohl heißen, dass es ihm mit diesem ‚nicht-heiratsfähig‘-Mist ernst ist.“
„Was kümmert es Sie? Sie haben doch gerade gesagt, es interessiere Sie nicht.“ Trotz allem, merkte sie, war sie auch erleichtert. Unfähig zu sein, irgendwen zu heiraten, war genau das, was sie gewollt hatte … oder etwa nicht?
„Denken Sie, Ihr Philip Ascot hat irgendetwas hiermit zu tun?“ Silver stopfte sich das Telegramm in die Hemdtasche.
„Ich habe keine Ahnung, was Philip denkt. Bitte“, sagte sie. „Sie müssen mich gehen lassen.“
„Wieder zurück nach Chicago“, sagte er ausdruckslos. „Zurück zu Ihrem Vater.“
„Ja.“
„Um Himmels willen, warum?“ Seine Erheiterung von vorhin war restlos verschwunden, wich mehr und mehr einer dunkleren Stimmung. „Verstehen Sie nicht, was er hiermit meint?“ Er zerrte das Papier wieder hervor und drückte es ihr in die Hand. „Wissen Sie, was er hiermit sagt?“
„Ja, aber …“
„Und Sie wollen wirklich zu diesem Schweinehund zurückkehren? Sie wollen wieder seine Tochter sein?“
„Ich kann doch nicht einfach aufhören, seine Tochter zu sein, bloß weil Sie mich auf diese gottverlassene Insel verschleppt haben.“
„Er scheint aber genau das zu denken.“
Sie fühlte wieder die Enge in ihrer Kehle und die Tränen in ihren Augen, aber für Tom Silver bedeuteten Tränen nichts.
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