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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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zu den Lassern gingen.
    Sie waren darüber selbst ganz erstaunt, denn sie hatten geglaubt, dieses Wissen sei eigentlich selbstverständlich.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
    »Von dem Wissen, das der braucht, der die Welt beherrschen will.«
    »Gut, aber was für ein Wissen ist das konkret?«
    »Das erfährst du gleich aus meiner Geschichte. Zunächst geht es mir noch um die Frage, wer dieses Wissen hat, und ich habe gesagt, die Nehmer haben es. Das leuchtet ja auch ein, oder? Schließlich sind sie die Herrscher der Welt.«
    »Ja.«
    »Und daß die Lasser dieses Wissen nicht haben, leuchtet auch ein, oder?«
    »Ja, schon.«
    »Dann sage mir jetzt: Wer außer den Nehmern wird dieses Wissen noch haben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Denke mythologisch.«
    »Also gut... die Götter.«
    »Natürlich. Und davon handelt meine Geschichte: Wie die Götter zu dem Wissen kamen, das sie brauchten, um die Welt regieren zu können. Hör zu.«
    4
    Als die Götter eines Tages wieder einmal über die Verwaltung der Welt berieten, sagte einer von ihnen: »Es gibt auf der Erde eine Gegend, die mir schon seit längerem ins Auge fällt - eine weitläufige, schöne Savanne. Laßt uns einen großen Schwarm Heuschrecken dorthin schicken. Dann wird das Feuer des Lebens in ihnen und in den Vögeln und Eidechsen, die die Heuschrecken fressen, zu stolzer Flamme wachsen, und das wäre doch eine schöne Sache.«
    Die anderen dachten darüber eine Weile nach, dann sagte einer: »Du magst ja recht haben. Wenn wir Heuschrecken dorthin schicken, wird das Feuer des Lebens in ihnen und den Tieren, die sie fressen, hell auflodern - allerdings auf Kosten der anderen Tiere, die dort leben.« Die anderen fragten ihn, was er damit meine, und er fuhr fort: »Es wäre doch fürwahr ein großes Verbrechen, all den anderen Tieren das Feuer des Lebens wegzunehmen, nur damit Heuschrecken, Vögel und Eidechsen eine Zeitlang gedeihen können. Denn die Heuschrecken werden das Land kahlfressen, und Rehe, Gazellen, Ziegen und Kaninchen werden hungern und sterben. Und wenn es diese Tiere nicht mehr gibt, werden auch Löwen, Wölfe und Füchse bald sterben. Werden sie uns dann nicht verfluchen und uns Verbrecher heißen, weil wir Heuschrecken, Vögel und Eidechsen bevorzugt haben?«
    Nachdenklich kratzten die Götter sich am Kopf. Aus dieser Perspektive hatten sie die Dinge noch nicht betrachtet. Endlich sagte einer: »Aber die Lösung ist doch einfach. Wir tun es eben nicht. Wir schicken einfach keine Heuschrecken in dieses Land, dann ist alles wie vorher, und kein Tier hat Grund, uns zu verfluchen.«
    Die meisten Götter hielten das für einen vernünftigen Vorschlag, aber einer widersprach. »Das wäre doch ein genauso großes Verbrechen«, sagte er. »Denn ist das Leben der Heuschrecken, Vögel und Eidechsen nicht wie das der anderen Tiere in unserer Hand? Sollen sie nie blühen und gedeihen dürfen wie die anderen Tiere?«
    Während die Götter noch über diesen Einwand diskutierten, verließ ein Fuchs seinen Bau, um zu jagen. Da sagten die Götter: »Laßt uns dem Fuchs eine Wachtel schicken, damit er etwas zum Leben hat.« Kaum waren diese Worte gesprochen, da sagte einer von ihnen: »Aber es wäre doch ein Verbrechen, den Fuchs auf
    Kosten der Wachtel leben zu lassen. Wir haben auch der Wachtel ihr Leben gegeben, und es ist in unserer Hand. Es wäre schändlich, sie in den Rachen des Fuchses zu schicken!«
    Darauf sagte ein anderer: »Seht dort! Die Wachtel jagt eine Heuschrecke! Wenn wir die Wachtel nicht dem Fuchs geben, frißt sie die Heuschrecke. Haben wir nicht auch der Heuschrecke ihr Leben gegeben, und ist es nicht in unserer Hand wie das Leben der Wachtel? Es wäre ein Verbrechen, wenn wir die Wachtel nicht dem Fuchs geben, denn dann müßte die Heuschrecke sterben.«
    Na ja, du kannst dir vorstellen, wie die Götter stöhnten und nicht wußten, was sie tun sollten. Und während sie sich noch zankten, kam der Frühling, und das Schmelzwasser der Gebirge ließ die Flüsse anschwellen. Da sagte einer von ihnen: »Es wäre doch ein Verbrechen zuzulassen, daß dieses Wasser das Land überflutet, denn unzählige Tiere würden darin ertrinken.« Aber ein anderer entgegnete: »Es wäre doch genauso ein Verbrechen, das Wasser zurückzuhalten, denn ohne es würden Seen und Sümpfe austrocknen, und all die Tiere, die in ihnen leben, müßten sterben.« Und wieder wußten die Götter weder ein noch aus.
    Schließlich hatte einer von ihnen eine Idee, die

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