Ismaels fliegende Wale
bekam nur einmal die Gelegenheit, einen Blick auf den Leviathan zu werfen, denn schon mußte er das Segel reffen. Koojai war damit beschäftigt, das gleiche mit der Bespannung des Untermasts zu tun. Der Rudergänger wartete auf den Ruck, der das Boot entweder aufwärts ziehen oder die Leine reißen lassen würde.
Karkri wartete ab, das Knochenmesser in der Hand. Er konnte jetzt nichts anderes tun, als darauf zu warten, daß der Wal müde wurde, aber dennoch mußte er ständig darauf vorbereitet sein, die Leine eventuell zu kappen.
Ismael band das Segel fest und holte den Mast ein. Er schaute nach oben. Der Wal schrumpfte zusammen, aber er war noch immer groß genug. Das andere Boot befand sich nun mit dem ihren auf gleicher Höhe. Auch die andere Mannschaft wartete darauf, daß die Leine sich spannte. Der Harpunier wandte sein dunkles Gesicht Karkri zu.
Die Leine rollte immer weiter über die kleine Spindel, die dem Bug des Bootes etwas vorgelagert war, hinaus. Plötzlich hielt die Spindel an, die Nase des Bootes richtete sich nach oben – und dann stieg es auf. Obwohl die Fangleine dermaßen schwach wirkte, daß Ismael schon angenommen hatte, er könne sie mit den Händen zerreißen, zerriß sie nicht. Gemeinsam wurden die beiden Boote nach oben gezogen.
Der Windwal befand sich beinahe zweihundert Yards über ihnen. Unterhalb der Boote trieb die rote Wolke vorbei. Die Roolanga wurde einen Augenblick von ihr verdeckt und tauchte dann westlich von ihr wieder auf, wo sie gegen den Wind krängte. Die anderen Boote befanden sich eine Meile östlich und etwas unter ihnen und wurden ebenfalls gerade von einem Wal hinaufgezogen.
Der Wind heulte durch die Takelage. Die Luft wurde kälter und der Himmel dunkler. Die Köpfe der Männer wurden leicht, und die Luft zwang sie zu tiefen Atemzügen. Weit unter ihnen lag die Roolanga und sah aus wie ein Stück geflügelten Holzes.
Karkri war ungeachtet der durch die dünne Luft hervorgerufenen Schwäche damit beschäftigt, mit Hilfe einer an der Spindel befestigten Kurbel die Leine einzuholen. Es wurde jetzt nötig, daß die Boote – bevor der Wal den Entschluß faßte, sich in die Tiefe zu stürzen – so nahe wie möglich an ihre Beute herankamen. So lange er aufstieg, konnte der Wal nicht annähernd so stark an der Leine zerren wie in jenem Augenblick, wenn er Gas aus seinen Blasen abließ und kopfüber nach unten raste. Also arbeitete Karkri – ebenso wie der Harpunier des anderen Bootes – mit äußerster Schnelligkeit. Als es schließlich soweit kam, daß sie keine Hand mehr rühren konnten und ihr Atem dermaßen heftig wurde, daß sie glaubten, er müsse ihre Kehlen verbrennen, sicherten sie die Spindel und krochen ins Heck.
Ismael überließ seinen Posten Karkri und zog sich zurück. Obwohl er größer und mit einer stärkeren Muskulatur ausgestattet war, konnte er den Harpunier nicht übertreffen. Hätten sie sich auf dem Meer befunden, wo er den größten Teil seines Lebens zugebracht hatte, wäre er dem kleinen braunen Mann vielleicht kräftemäßig überlegen gewesen, aber hier – in den oberen Bereichen der Luft –, wo Karkri der Fachmann war, ging Ismael der Atem aus, und seine Arme fühlten sich an, als habe er gerade eine lange Krankheit hinter sich gebracht.
Koojai kroch grinsend an Ismael vorbei und übernahm seine Schicht. Dann übergab der Rudergänger seinen Platz Karkri, der bald darauf wieder in den Bug kroch und weiterdrehte. Dann war Ismael wieder an der Reihe, aber seine Kräfte waren jetzt noch geringer als beim ersten Versuch. Als die dritte Runde an ihn ging, fühlte er sich so schwach, daß er glaubte, er könne nicht einmal mehr in den Bug kriechen, geschweige denn die Kurbel drehen, die ihm wie eingerostet vorkam. Aber dennoch krabbelte er über das nahezu senkrecht stehende Deck hinauf, benutzte die Löcher im Unterboden als Leiter und schnallte sich an, um mit aller Kraft noch ein paar Drehungen zu machen. Es gelang ihm. Er sicherte die Spindel und kroch zurück. Einmal warf er einen Blick zurück und wünschte sich, es nicht getan zu haben. Wo war die Roolanga?
Die beiden Boote hatten sich unentwegt an ihre Beute, von der sie jetzt nur noch etwa dreißig Fuß trennten, herangezogen. Karkri gab schließlich den Befehl zum Aufhören. Wenn der Wal jetzt hinabtauchte, konnte er die Leinen nicht mehr mit einem allzu plötzlichen Ruck spannen.
Ismaels Herzklopfen hörte nicht auf. Er sog keuchend Luft ein und stieß sie wieder aus. Der
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