Isola - Roman
Mörderkarte gezogen? Elfe? Pearl? Unmöglich. Die beiden hätten das nicht so verstecken können, oder doch? Elfe ging zur Schauspielschule, das hatte sie mir jedenfalls erzählt. Aber vielleicht war sie in Wirklichkeit ganz anders – vielleicht waren alle in Wirklichkeit ganz anders. Wieder sah ich zu Solo. Mephisto hatte sich vor seinen Füßen in den Sand geworfen und streckte alle viere von sich, während Solo ihm den Bauch kraulte. Als Solo meinen Blick auffing, lächelte er zu mir herüber und neigte ganz leicht seinen Kopf. Ich lächelte zurück, aber als ich fühlte, wie ich rot wurde, sah ich hastig weg.
Plötzlich wusste ich nicht, was ich mehr fürchtete: dass er Mörder oder Opfer war.
Abends machte Lung ein Feuer am Strand. Er hatte trockene Holzstücke gesammelt und sie kegelförmig übereinandergeschichtet. Knisternd und gierig züngelten die Flammen empor und sprühten winzige Funken in die Nacht. Milky hatte Würstchen aus der Tiefkühltruhe geholt, die wir an langen Stöcken über die Flammen hielten. Sie schmeckten anders als deutsche Würstchen. Alles schmeckte anders. Sogar die Luft.
Der Himmel war sternenklar und nach dem Essen gab Lung eine Vorstellung. Er übergoss seine Fackel mit Benzin, tauchte sie in die Glut und ließ die hellen Flammen über seinen nackten Oberkörper tanzen. Dann nahm er einen Schluck Benzin aus dem Kanister, führte die Fackel zum Mund und spie einen gewaltigen Feuerball in die schwarze Luft. Ein glühendes Wesen aus Licht tanzte über unseren Köpfen, bis es sich in hellen Rauch verwandelte, der sich lautlos mit der Dunkelheit vermischte. Lung saß am Boden, den Oberkörper weit zurückgelehnt, die schmale Brust hob und senkte sich, dann ließ er die Fackel über seine Arme tanzen. Elfe klatschte begeistert und wieder fing ich Solos Lächeln ein. Seine Augen glühten im Schein des Feuers. Er stand auf, verschwand in der Dunkelheit und kehrte kurz darauf zurück, mit seiner Berimbau.
Was ist das für ein Instrument?«, fragte Pearl.
»Eine Berimbau«, sagte Solo schlicht.
Pearl lachte. »Und was ist eine Berimbau? Ich meine, woher kommt sie?«
»Aus Brasilien«, erklärte Solo mit einem raschen Seitenblick auf mich. »Sie ist das Hauptinstrument des Capoeira. Schon mal davon gehört?«
Milky nickte, aber Pearl schüttelte den Kopf.
»Capoeira«, sagte Solo, »ist ein Kampftanz. Er kommt aus Afrika, ursprünglich soll es mal ein ritueller Tanz gewesen sein. Die Sklaven, die von den Portugiesen nach Brasilien verschleppt wurden, haben dann eine Selbstverteidigungstechnik daraus gemacht und heute wird Capoeira in vielen Ländern unterrichtet. Angeblich meist von afrobrasilianischen Meistern. Man bildet einen Kreis, in den abwechselnd zwei Kämpfer treten. Dazu spielt man Trommeln und eben die Berimbau.«
»Klingt gut«, sagte Elfe. »Kannst du Capoeira?« Solo schüttelte den Kopf. »Ich mag nur das Instrument. Ein Brasilianer hat mir beigebracht, wie man es baut – und darauf spielt.«
Pearl nickte ihm zu. »Dann lass mal hören.«
Solo umfasste den gebogenen Holzstock, schob den ausgehöhlten Kürbis über das untere Ende des Drahtes und hielt sich die Kürbisöffnung vor den Bauch. Dann nahm er einen kleinen, runden Stein zwischen Daumen und Zeigefinger und presste ihn an den Draht. In der anderen Hand hielt er die Batequa , einen dünnen Holzstab, und dazu das Körbchen mit den Pflanzensamen.
Als die ersten tiefen Laute in der Luft vibrierten, fühlte ich, wie sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufstellten. Es gibt für mich keinen größeren Zauber als den Klang der Berimbau, wenn man sie beherrscht – und Solo beherrschte sie, als hätte er sein Leben lang auf diesem Instrument gespielt. Mit dem feinen Holzstab brachte er den Draht zum Schwingen und veränderte mit dem Stein die Tonlagen, ließ sie von den tiefen Stimmen bis nach oben in sopranähnliche Klänge gleiten. Das kleine, mit Muscheln gefüllte Körbchen tanzte im Takt dazu in seinen Händen und Solos sehniger Oberkörper, der nackt war, wiegte sich im Rhythmus der Musik. Die Luft wurde zu einer einzigen großen Klangschale, erfüllt von den magischen Tönen, die Solo der einzigen Saite des Instrumentes entlockte. Eine Weile lang saß ich nur da und lauschte, aber irgendwann, als die Klänge schneller, fordernder, fiebriger wurden, stand ich auf und begann zu tanzen. Ich vergaß, wo ich war und wer, ich bewegte mich nur noch zum Klang der Musik, die in jede Faser drang, wie ein
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