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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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zwanzig Jahren verheiratet. Zweimal in der Woche passte Pearl auf seine Töchter auf, die beiden trafen sich abends, wenn Ulfs Kinder schliefen und seine Frau unterrichtete. Ulfs Frau war Gesangslehrerin, Pearl hatte Einzelstunden bei ihr genommen und so hatte sie den Job als Babysitterin bekommen. Nachts schrieb sie seitenlange E-Mails an Ulf und ein Tagebuch hatte sie auch in ihrem Computer angelegt. Er musste lächeln, als er an die sehnsüchtigen Worte des Mädchens dachte. Mit ihrem Computer war Pearl für ihn ein offenes Buch gewesen. Ja, die Bezeichnung gläsernes Zeitalter passte. Sich Zugang zu solchen Informationen zu beschaffen, war für ihn mittlerweile ein Kinderspiel, und es war gut, auf diese Weise noch ein besseres Bild von der Gruppe bekommen zu haben. Sogar über Neander, der in Wirklichkeit Tristan Leander hieß, hatte er auf diese Weise einiges herausgefunden. Der Junge hatte an einigen Theaterprojekten teilgenommen und jobbte bei der Post. Seine Mutter war Alkoholikerin, sein Traum war es, Wissenschaftler zu werden, und nachts schrieb er Gedichte, ziemlich schöne sogar. Eins davon, über diesen brasilianischen Vogel, den Bem-Te-Vi, hatte er sich ausgedruckt.
    An Informationen über Vera zu gelangen, war da schon viel mühsamer gewesen. Sie schrieb keine E-Mails, keine Tagebücher und keine Gedichte auf ihrem Computer. Dass sie auf den Namen Joy Reichert getauft worden war und in Kürze ihren achtzehnten Geburtstag feiern würde, war aus den Casting-Gesprächen hervorgegangen, ebenso die Stichpunkte zu ihren deutschen Eltern. Bernhard Reichert war Arzt, Erika Reichert Psychologin, beide hatten in Hamburg einen guten Namen. Aber über die Adoption hatte er auf diesem Wege nichts erfahren. Dazu hatte er sich in vertrauliche Akten einloggenmüssen. Joy Reichert war am 13. Dezember 1988 unter dem Namen Vera Marcondes in Rio de Janeiro geboren worden, Erika und Bernhard Reichert hatten sie im Alter von vier Jahren adoptiert. Unter dem Namen Marcondes hatte er im Internet auch eine gewisse Esperança gefunden, eine Menschenrechtlerin, die sich für Straßenkinder in Rio einsetzte, aber eine Verbindung zu Vera hatte er nicht erkennen können. In Hamburg besuchte Vera die zwölfte Klasse eines Gymnasiums und neben der Schule tanzte sie. Brasilianischen Tanz und Capoeira. Über ihre Aufführung in der Hamburger Fabrik hatte es sogar einen kleinen Bericht im Fernsehen gegeben.
    Als Vera am Feuer zu Solos Musik getanzt hatte, hatte er den Blick nicht von ihr abwenden können. Daneben war Darling eine Karikatur, auch wenn sie ihre Reize gut einsetzte, sehr gut sogar. Aber Vera war tief. Es war etwas, das von ihrem Wesen ausging, etwas, dem er sich selbst über den Bildschirm kaum entziehen konnte. Sie weiß nicht, wie schön sie ist, dachte er. Und das machte sie noch schöner. Solo war in sie verliebt, auch das konnte er auf dem Bildschirm sehen. Es missfiel ihm und reizte ihn gleichermaßen. Ja, es reizte ihn mehr, als ihm lieb war. Was Solo zu Vera gesagt hatte, bevor er ins Haus ging, hatte er nicht mitbekommen, aber Veras Reaktion ging ihm nicht aus dem Sinn. Ein leichtes Zittern ging durch seinen Körper. Er sollte sich auf andere Dinge konzentrieren. Aber für den Moment fiel ihm das schwer. Er war abgelenkt und ärgerte sich über sich selbst. Er sah in Veras Gesicht, betrachtete ihren ernsten Mund, die eigenwilligen, leicht geblähten Nasenflügel und ihre grünen Augen, die so viel Traurigkeit ausstrahlten. »Was sind deine Träume?«, fragte er leise und schob das Handy, das ihm schon wieder eine SMS ankündigte, zur Seite.
    DEN GANZEN nächsten Tag ließ sich die Sonne nicht blicken. Die Luft war drückend und schwer und der wolkenverhangene Himmel, der sich wie eine dumpfe Glocke über unsere kleine Insel stülpte, passte genau zu meiner Stimmung. Es war später Nachmittag und ich stand in der Küche, um mir einen Kaffee und ein bisschen Obst zu holen, wobei ich ständig über meine Schulter nach hinten sah und bei jedem Geräusch zusammenzuckte. Es ist seltsam, wie real Angst werden kann, selbst wenn sie nur durch ein Spiel erzeugt wird. Das musste Tempelhoff gewusst haben – und es funktionierte, schon jetzt. Seit Pearls Verschwinden musterten wir einander noch misstrauischer als zuvor und gestern Nacht waren die ersten Vermutungen laut geworden. Joker hatte Lung verdächtigt, der am Feuer direkt neben Pearl gesessen hatte, Lung hatte cool mit den Schultern gezuckt und Alpha hatte uns daran

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