Isola - Roman
in der Hängematte liegen sah, aber Elfe starrte mich schon wieder so erschrocken an, dass mir die Worte im Hals stecken blieben. Aus einer der Mülltonnen neben dem Haus lugten die Überreste von Jokers Gummipuppe hervor.
Ich ging zum Strand hinunter. Der Himmel war bedeckt, ein leichter Wind war aufgezogen und die Luft schmeckte nach Regen und Salz.
Das Meer war silbrig grau, die Brandung hoch. Schaumkronen schwemmten ans Ufer, der Strand war übersät von Muscheln und Algen. Nur Milky war dort – er surfte weit draußen in den Wellen, die sich an dem großen Felsen brachen; dem schwarzen Walfischbuckel, hinter den mich Solo letzte Nacht entführt hatte. Ja – entführt. Genauso kam es mir vor. Noch stärker als gestern hatte ich die Empfindung, dass mir etwas geraubt worden war. Und seither hatte Solo sich nicht blicken lassen. Sein rätselhaftes Verhalten verstörte mich immer mehr. Gleichzeitig wuchs meine Angst, dass der Mörder jetzt auch ihn erwischt haben könnte. Das Nebelhorn war seit Moons Verschwinden nicht mehr ertönt, doch das musste nichts heißen. Auch Darling, Joker und Alpha waren verschwunden und Elfe war mir gegenüber zu misstrauisch, als dass ich sie nach Solo fragen wollte. Sogar in den Schlafsaal der Jungen hatte ich geschaut, aber auch dort war er nicht gewesen. Als ich von der Tür aus in den leeren Raum geblickt hatte, war mir noch etwas anderes bewusst geworden. Sich in jemanden zu verlieben, konnte schmerzhaft sein, verdammt schmerzhaft – und auch dagegen war man machtlos.
Ich starrte auf das silbergraue Meer hinaus. Der Wind war kühl, aber ich konnte kaum atmen. Ich fühlte mich so schrecklich allein – isoliert. Wie eine Insel, dachte ich. Eine einsame Insel mitten im Meer.
Gegen Abend wurde die Luft noch einmal sehr drückend, fast wie vor einem Gewitter. Wir saßen zu viert im Haupthaus, Joker, Darling, Alpha und ich. Die drei waren auf der anderen Inselseite gewesen und unterhielten sich aufgeregt über eine riesige Höhle, die sie bei der Felsküste entdeckt hatten. Ihrem Gespräch entnahm ich, dass auch Solo mit von der Partie gewesen war und sich jetzt im Schlafraum hingelegt hatte. Erleichtert atmete ich auf, was Darling mit einem spöttischen Seitenblick zur Kenntnis nahm. Ich schluckte und fühlte, dass ich rot wurde vor Wut.
Milky kam vom Strand, ein Handtuch um den Unterkörper geschlungen, türkisfarbene Flip-Flops an den Füßen. Mephisto war bei ihm. Milky gab ihm frisches Wasser, dann fing er pfeifend an, Gemüse zu schälen. Kurz darauf tauchte auch Elfe auf. Sie wirkte gehetzt, fast als hätte sie sich irgendwo versteckt, und mied jeglichen Blickkontakt mit mir. Erst, als sie Milky sah, entspannte sich ihr Gesicht und sie bot sich an, ihm beim Kochen helfen. Sie unterhielten sich leise, ab und zu hörte ich Elfe lachen.
Mit mir sprach niemand, nicht mal beim Essen. Milky und Elfe hatten Suppe gekocht, Gemüsesuppe mit Hühn-chen und aufgebackenem Brot. Außer Solo saßen wir alle um den Tisch. Mephisto lag zu unseren Füßen und machte sich schmatzend über seine Schale mit Hundefutter her. Es wurde nicht wirklich geredet, aber ich fühlte mich plötzlich wie ein Fremdkörper. Ich hatte die ganze Zeit über nicht viel gesprochen, genau genommen sogar fast gar nicht, und trotzdem hatte ich mich seit unserer Ankunft auf der Insel immer als Teil der Gruppe gefühlt. Aber die gestrige Nacht hatte alles verändert. Verzweiflung und Trotz schossen in mir empor.
»Ich war es nicht«, hörte ich mich plötzlich sagen. Es platzte einfach aus mir heraus und es kam mir fast wie ein Fauchen vor. Elfe musterte mich skeptisch, Joker zog seine Braue hoch und Milky lächelte zögerlich. Ich legte ärgerlich den Löffel zur Seite, weil meine Hand zu zittern anfing.
»Ich war es nicht«, presste ich noch einmal hervor und sprang so heftig vom Tisch auf, dass der Stuhl hinter mir zu Boden fiel.
Ich stürmte aus dem Zimmer und hinüber in den Schlafsaal der Jungen, fest entschlossen, Solo zur Rede zu stellen. Der Schlafsaal war das Spiegelbild zu unserem, von der Einrichtung her genau gleich, sechs zu einem großen Kreis angeordnete Betten mit Baldachinen, vor jedem Bett eine Truhe. Nur unordentlicher war es hier, sehr viel unordentlicher. Schuhe und Kleidungsstücke flogen herum, leere Flaschen und Essensreste. Solo lag in dem Bett neben der Tür. Über ihm an der Decke brannte Licht, aber er schien tief und fest zu schlafen. Als ich näher trat, sah ich ein goldenes
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