Isola - Roman
ovalförmiges Amulett auf seinem Nachttisch liegen. Seine drei Inseldinge, schoss es mir durch den Kopf. Die Berimbau, Mephisto und ein persönliches Andenken. War es dieses Amulett? Von wem war es?
Es war aufgeklappt, und als ich mich darüberbeugte, fiel mir auf, dass die glänzenden Ränder an einigen Stellen abgeblättert waren. Im Inneren – auf der rechten Seite – war das Miniaturgemälde eines Engels. Verdutzt betrachtete ich den geflügelten Himmelsboten. Er hatte schulterlanges blondes Haar und dunkle Augen, und obwohl seine Gesichtszüge sehr feminin waren, meinte ich, einen männlichen Engel in ihm zu erkennen. Die linke Innenseite des Amuletts war leer und mich überkam das unerklärliche Gefühl, dass eigentlich auch hier ein Bild hineingehört hätte.
Gleich neben dem Amulett lag eine Packung Tabletten. Tavor 1.0 war die Aufschrift und der Anblick ließ mich zusammenzucken. Ich kannte diese Tabletten, Erika benutzte sie gegen heftige Migräneanfälle und jetzt wurde mir auch klar, warum Solo immer so schmerzhaft das Gesicht verzogen hatte.
Gerade als ich gehen wollte, schlug er die Augen auf. Er sah mich direkt an und auf seinem Gesicht stand in der ersten Sekunde Erstaunen, dann lächelte er, warm und schläfrig. »Hey«, sagte er. »Alles okay?«
Ich zuckte mit den Schultern. Es war seltsam. Die Wut in mir löste sich auf und plötzlich war die wortlose Vertrautheit da. Meine Gefühle für Solo hatten wieder eine andere Form – auch einen anderen Platz in meinem Körper. Sie saßen mehr in der Brust, waren wärmer und sanfter, dabei allerdings nicht weniger kraftvoll. Doch verwirrt war ich immer noch. Was war das?, fragte ich stumm. Was war das zwischen uns gestern Nacht?
Solo rieb sich die Augen, er war noch immer halb im Schlaf. »Wie spät ist es?«, murmelte er.
Da schluckte ich meine stummen Fragen hinunter. Wenn Solo nicht darüber sprechen wollte, würde ich es auch nicht tun – schon gar nicht vor laufenden Kameras. Schwieg Solo deshalb? Mein Blick tastete den Raum ab, Wände, Decken, den Fußboden.
»Ich hab keine Uhr«, brachte ich irgendwie heraus. »Es ist Abend, früher Abend, denke ich mal.«
Solo strich sich das Haar aus der Stirn. »Wo sind die anderen?«
»Im Haupthaus. Milky hat gekocht. Sie denken, ich … « Ich zögerte, ich konnte nicht weiter. Das hier war anders, der Ort war anders, das Gefühl, beobachtet zu werden, war anders, die Gesetze waren anders – wir waren anders. Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte Solo unter anderen Umständen kennengelernt. Ich wandte mich um.
»Hey«, Solos Stimme hielt mich fest. »Warte. Geh nicht.« Er streckte seine Hand aus, sein Gesicht wurde zärtlich und jetzt sah ich auch in seinem Blick die Sehnsucht. Da war kein Flackern mehr wie letzte Nacht, da war nur Licht und alles in mir drängte ihm wieder entgegen. Wenn ich nur einen Schritt in seine Richtung getan hätte, nur einen einzigen, dann wäre alles gut gewesen. Alles.
Aber ich tat diesen Schritt nicht, ich stand da wie ein kleiner Baum, die Wurzeln schmerzhaft im Boden verkrallt.
»Hey!« Dasselbe Wort, dieselben drei Buchstaben – und darin eine andere Wirklichkeit. Joker stand im Raum. Er hielt ein Windlicht in der Hand. »Alpha, Milky, Darling und ich machen einen Nachtausflug zur Höhle. Wenn wir die Windlichter mitnehmen und was zu trinken, könnten wir dort eine kleine Party steigen lassen, das wär mal was anderes. Kommt ihr mit?«
In mir stieg sofort Widerwillen auf. Solo, der sich den letzten Schlaf aus den Augen rieb, sah unschlüssig aus. Er setzte sich im Bett auf. »Jetzt?«, fragte er mit einem zweifelnden Blick nach draußen. »Im Dunkeln? Diese Höhle war ziemlich … «
Joker unterbrach ihn grinsend. »Hast du Angst? Brauchst du nicht, du weißt doch, wir werden überwacht. Und wenn wir alle dicht zusammenbleiben und Händchen halten«, er warf einen Seitenblick auf mich, »kann uns der Mörder nichts tun.«
»Halt deine blöde Klappe!«, fuhr ich ihn an. »Ich hab gesagt, ich war’s nicht!«
»Schon gut, Katzenauge«, Joker stupste mir freundschaftlich gegen die Schulter. »Wer auch immer es ist, wir sind geschlossen der Meinung, der Mörder macht heute Pause und wir lassen ein bisschen gute Stimmung aufkommen. Wir könnten es gebrauchen und Tempelhoff wird ja wohl nichts einzuwenden haben, oder? Schließlich bleiben uns noch über zwei Wochen, die sollten wir genießen, bevor wir alle ÄÄÄÄÄÄRRRGGGGS … «, Joker griff sich an die
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