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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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kennen, ein paar von ihnen schnüffelten Klebstoff, ich weiß noch, wie eklig es stank, und dass Esperança mit ihnen schimpfte. Ich hatte furchtbare Bauchschmerzen und habe geschrien wie verrückt. Esperança konnte mich nicht beruhigen, sie hat mir etwas vorgesungen und irgendwann fing sie an zu weinen, darüber muss ich dann eingeschlafen sein. Jedenfalls wurde ich wach – von Schritten, und Esperança war völlig panisch. Sie riss meine Brüder aus dem Schlaf, zog mich am Kragen und zerrte uns hinter die Kapelle. Sie drückte meinen Kopf in ihren Schoß. Ich habe nur die dumpfen Schläge gehört und die Schreie der anderen Kinder. Irgendwann ertönten zwei Schüsse und dann war alles still.«
    Ich hielt inne und versuchte, das Zittern in meinen Beinen unter Kontrolle zu halten. Meine Knie schmerzten und meine Kehle war wie ausgetrocknet.
    »Wer?«, flüsterte Solo. »Wer hat … «
    »Die Polizei«, unterbrach ich ihn tonlos. »Ich habe später jede Menge darüber gelesen und Sabiá, mein Tanzlehrer in Hamburg, hat mir auch viel erzählt. Er war selbst ein Favelakind. Die Polizisten werden in Brasilien schlecht ausgebildet, verdammt schlecht, wie Sabiá sagte. Du kannst ihre Arbeit mit der eines Kriegssoldaten vergleichen, wahrscheinlich liegt es auch an der hohen Kriminalitätsrate. Ich weiß nicht, was das aus Menschen macht. Jedenfalls sind diese Männer extrem gefährlich, vor allem für die Straßenkinder. Ihre Arbeit wird miserabel bezahlt und Sabiá meinte, dass viele Bullen in Brasilien nur auf Macht aus sind. Fakt ist, dass in Brasilien auch heute noch vier bis fünf Straßenkinder am Tag getötet werden.«
    Ich lachte trocken. »Oder beseitigt – wie Straßendreck.«
    Ich griff nach dem Wasserglas, das zwischen der Muschel und meiner Kerze auf dem Nachttisch stand, und trank es leer.
    »Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wie die Nacht verging«, fuhr ich fort. »Ich weiß nur noch, dass wir hinter der Kapelle hockten und dass meine Brüder irgendwann wieder einschliefen, während ich auf Esperanças Schoß lag. Wir haben uns nicht gerührt. Wir haben uns stundenlang nicht gerührt. Als wieder Schritte kamen, fing Esperança an zu wimmern, aber diesmal war es keine Polizei. Es waren zwei Weiße, ein Mann und eine Frau. Wie ich später erfuhr, war es reiner Zufall, dass sie uns hinter der Kapelle entdeckten. Sie waren auf dem Rückweg von einem Restaurant und die Frau hatte die Kapelle anschauen wollen, weil sie so friedlich aussah. Was sie vorfanden, waren drei tote und vier völlig verstörte Kinder. Die Frau ist vor uns auf die Knie gefallen. Sie hat mich angeschaut, sie hat meine Haare gestreichelt, mein Gesicht, und dann hat Esperança angefangen, auf die beiden einzureden.«
    Meine Kehle zog sich zusammen, ich konnte nicht weitersprechen. Ich spürte, wie Solo näher an mich heranrückte, aber ich versteifte mich und Solo schien es zu verstehen. Er fasste mich nicht an.
    »Was hat deine Schwester gesagt?«, flüsterte er.
    Ich hielt Esperanças Bild vor mein Gesicht, so nah, dass wir Auge in Auge waren. Ich sah ihr Lächeln, ihre hohe Stirn, das Leuchten in ihren Augen. Und ich hörte den Klang ihrer Stimme. Cuidem dela. Cuidem de minha irmã caçula. Ela não pertence à este lugar.
    Ich schloss die Augen. »Sorgt für sie«, flüsterte ich. »Sorgt für meine kleine Schwester. Sie gehört nicht an diesen Ort.« Das waren ihre Worte. Esperança hat sie immer wieder gesagt. Auch den Namen unserer Favela hat sie genannt und irgendwann hat die Frau genickt. Da ist Esperança aufgestanden. Sie hat meine Brüder geschnappt und ist mit ihnen weggelaufen. Ich habe gehört, wie sie weinte – ich höre es immer noch. Sie hat so furchtbar geweint. Ich wollte hinter ihr her, aber ich bin stehen geblieben. Die Frau hat mich in den Arm genommen und meinen Kopf an ihre Brust gepresst. Sie trug eine Kette, die mir in die Stirn gedrückt hat, es tat weh, aber ich habe mich nicht bewegt.«
    Ganz langsam wandte ich meinen Kopf zum Fenster und schaute hinaus in die tiefe Schwärze. Kein Mond, keine Sterne, nur der heulende Sturm. Und ich musste an Yansã denken, die Göttin des Candomblé-Kultes, zu der ich mich immer hingezogen gefühlt hatte. In diesem Kult werden die Götter getanzt, mit all ihren Eigenschaften. Oshun –die Schöne, Yemanjá – die Mutter, Xangô – der Herrscher des Feuers … sie faszinierten mich, jeder auf seine Weise. Aber Yansá, die Herrin des Sturmes, die auch die Führerin der

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