Isola - Roman
ich aufstand, taten mir alle Glieder weh. Die Luft im Zimmer war drückend und schwer. Auf Elfes Bett lag ein Wirrwarr an Klamotten, ihre Truhe war aufgeklappt, über dem Deckel hing ein nasses Handtuch, das vorher noch nicht da gewesen war. Also musste auch sie im Zimmer gewesen sein und geduscht haben.
Die anderen Betten waren unberührt. Auf Darlings Bett fehlte das Laken.
Der Gedanke an sie versetzte mir einen tiefen Stich und mit ihm kehrten die Erinnerungen an das zurück, was gestern geschehen war. Joker hatten wir gefunden, aber die Ungewissheit, was Darling zugestoßen sein konnte, quälte mich plötzlich noch mehr als die Gedanken an den toten Joker. Wo war sie? Lebte sie? War sie verletzt? Hatte sie Angst? War sie geflohen? War sie bei Tempelhoff? Aber wo war Tempelhoff? Ich stieß einen verzweifelten Seufzer aus. Mephisto bellte wieder und ich ließ ihn hinaus.
Dann duschte ich – lange –, putzte mir die Zähne und ging ins Haupthaus.
Elfe war gerade dabei, den Tisch abzuräumen. Die Tapete an der Wand hing noch immer in Fetzen und ich bemühte mich, nicht zu dem Loch zu starren, hinter dem Alpha gestern die Kamera entdeckt hatte. Draußen hatte sich der Sturm gelegt. Der Himmel hinter den großen Glasfenstern war noch bedeckt, aber die Wolkendecke war weiß und riss an einigen Stellen auf.
Unser Grundstück sah wüst aus. Äste und Zweige lagen am Boden verstreut, Kokosnüsse und Obst, auch ein paar der riesigen Jackfrüchte waren von den Bäumen gefallen und Elfes Hängematte hing wie ein nasser Sack zwischen den Palmen. In einem Hibiskusstrauch am hinteren Ende des Gartens hatte sich etwas verfangen, etwas Fleischfarbenes, ein großes Tuch oder … ich kniff die Augen zusammen, und als ich erkannte, was es war, stieß ich einen erstickten Schrei aus. Im Hibiskusstrauch hingen die Überreste von Jokers geplatzter Gummipuppe. Der Wind musste sie aus der Mülltonne gefegt haben, in die Joker sie versenkt hatte.
Ich taumelte in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Der Gedanke, etwas zu essen, war mir unerträglich, aber mein Magen war ein klaffendes Loch, ich musste etwas zu mir nehmen. Ich schnitt mir ein Stück Käse ab und zwang es angewidert herunter.
»Wo sind die anderen?«, fragte ich Elfe.
»Weg«, sagte sie. »Sie sind zur Felsküste gegangen.« Ihre Haare waren noch nass und zu einem dünnen Zopf zusammengebunden. Ihr Gesicht wirkte schmaler als sonst und ihre Augen lagen tief in den Höhlen, was ihren breiten Mund umso stärker zur Geltung brachte. Ihre Lippen waren wieder schwarz geschminkt, aber jetzt sah es furchtbar aus, wie eine Trauermaske. »Sie suchen das Boot.« Sie stockte und schaute mich an. »Du hast geschlafen wie … du hast geschlafen wie ein Stein. Solo hat Mephisto zu dir ins Zimmer geschickt und mich gebeten hierzubleiben, bis du aufwachst. Aber ich wollte eh nicht mit. Vera, ich …«
Elfe sank auf einen der Stühle und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich halte das alles nicht aus. Meine Mutter hat mich eingeladen, sie in den Winterferien zu besuchen. Sie lebt in Australien, sie hat uns verlassen, als ich elf war. Wegen eines Tauchlehrers. Jetzt lebt sie mit ihm zusammen, sie haben eine Tochter, sechs Jahre alt. Ich kenne meine kleine Halbschwester nur von Bildern. Fast wäre ich dorthin geflogen, aber dann kam die Zusage für die Insel und dafür hab ich mich dann natürlich entschieden. Und gestern Nacht dachte ich plötzlich … ich dachte … ich … «
Elfe schwankte, fast wäre sie vom Stuhl gefallen.
Ich rannte zu ihr und hielt sie fest.
»Ich dachte, wenn ich sie nun niemals wiedersehe«, hörte ich sie flüstern. »Das letzte Mal, als wir am Telefon gesprochen haben, war ich so hart zu ihr. Ich habe gesagt, ich bräuchte sie nicht. Ich habe gesagt, sie soll mich in Ruhe lassen. Vera – was ist, wenn wir nicht von hier wegkommen? Wenn das alles kein Spiel ist, ich meine, wenn es nie ein Spiel sein sollte? Sondern vielleicht … oh mein Gott! Hast du dir darüber keine Gedanken gemacht? Dass das alles ein Plan war? Dass … es gibt solche Filme, weißt du? Es gibt …«
Elfe schwieg und die Stille im Raum war übermächtig. Dann hörte ich den Vogel wieder, wie aus weiter Ferne, drang sein Ruf durch das geöffnete Fenster.
Bem-te-vi, bem-te-vi …
»Das kann nicht sein«, erwiderte ich mit fester Stimme.
»Es kann einfach nicht sein. Wenn Quint Tempelhoff wirklich Solos Vater ist, dann muss ihm etwas passiert sein. Vielleicht wollte er
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