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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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morgen. Wir müssen die Nacht über hierbleiben.«
    »Hierbleiben.« Elfes Stimme klang fremd und hoch, wie von einem anderen Stern. Sie kicherte wieder. »Wir müssen hierbleiben. Kennt ihr Snuff Movies?«

    »Snuff Movies?« Milky schüttelte verwirrt den Kopf und Alpha runzelte die Stirn. Ich stöhnte leise. Ja, ich hatte schon einmal etwas darüber gehört. Ich wollte aufstehen, aber Mephistos Kopf auf meinem Bein war so schwer. Ich war so schwer.
    »To snuff out kommt aus dem Englischen«, verkündete Elfe und klang jetzt, als läse sie eine Beschreibung aus dem Lexikon ab, »und es heißt: jemanden auslöschen . Ein Snuff Movie bezeichnet die filmische Aufzeichnung eines Mordes, der zu Unterhaltungszwecken und mit kommerzieller Absicht begangen wird. Der Zweck des Mordes selbst ist seine Aufzeichnung. Ein echter Mord, live vor der Kamera.« Sie kicherte wieder, wobei ihre Tonlage noch höher rutschte. »Hab ich mir gut gemerkt, oder? Klaus Hansen, ein Typ, neben dem ich in der Schule sitze, hat über dieses Thema ein Referat gehalten. Ich konnte nicht fassen, dass unser Lehrer so ein Thema durchgehen lässt, aber Klausimausi hat eine glatte Eins gekriegt.« Elfe lachte laut auf. »Das war übrigens der Moment, in dem ich beschloss, mich auf einer Theaterschule und nicht beim Film zu bewerben.«
    »Elfe«, Milky warf mir einen hilflosen Blick zu. »Du musst dich beruhigen, wir … wir müssen uns alle … « Milky fing an zu weinen. Es schüttelte ihn regelrecht und das riss jetzt auch Elfe aus ihrem Schock heraus. Sie zog Milky zu sich heran, strich ihm über die verfilzten Haare und sah über seinen Kopf hinweg zu mir herüber.
    »Was denkst du, Vera? Was geht in deinem Kopf vor?« Ich presste die Lippen zusammen. In Mephistos Fell war ein Knubbel, ein winziges Ding, es klebte hinter seinen Ohren. Ich zog es mit Daumen und Zeigerfinger heraus, es war ein toter Käfer, klein und grau mit winzigen roten Punkten.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte ich. »Vielleicht … « Weiter kam ich nicht. Ich hatte Angst davor zu denken. Ich hatte auch Angst davor, die Augen zu schließen, weil ich dann immer wieder Solo vor mir sah. In der Kapelle. Wie er auf mich zugekommen war, dieses Wilde, Fiebrige in seinem Wesen. Im Meer, hinter dem Felsen. Der Kuss, seine Umarmung. Diese unglaublich intensive Anziehung, die ich verspürt hatte. Als wäre ich nicht ich gewesen – und doch war das ein Teil von mir.
    Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Einen Mörder. Ich hatte einen Mörder geküsst. Ich war in einen Mörder … verliebt. Das konnte nicht sein, das konnte einfach nicht sein!
    Aber es war doch so.
    Und wenn es anders war?
    Spät in der Nacht, als die anderen drei noch immer auf den Matratzen saßen, stand ich auf und ging nach unten, in Tempelhoffs Zimmer. Mephisto folgte mir wie ein schwarzer Schatten. Auf dem Bett lag das himmelblaue Kopfkissen und am Boden das weiße Hemd, in dem Mephisto seine Schnauze vergraben hatte. Auf dem Nachttisch lagen Bücher.
    Was ich liebte von Siri Hustvedt. A Prayer for Owen Meany von John Irving. Das Buch der Illusionen von Paul Auster. Im hinteren Drittel des Buches war ein Lesezeichen. Ich zog es heraus. Es war ein Foto. Ein Schwarz-Weiß-Foto von einer Frau. Sie hatte helles Haar und ein schmales Gesicht mit einer markanten Nase und hohen Wangenknochen. Aber ihr Ausdruck war weich, fast ein wenig traurig. Die Augen und die breiten Brauen waren groß und dunkel und ein tiefes Leuchten ging von ihnen aus.
    Sie war fast wie ein Spiegel von Solo.
    »Abhauen können wir frühestens morgen. Wir müssen die Nacht über hierbleiben . «
    Alphas Worte hallten in mir wieder.
    »Nein«, hörte ich mich sagen.
    »Nein.«
    Da war kein Gedanke, da war keine Vermutung, da war nichts, was sich mit Vernunft erklären ließ.
    Da war nur ein Gefühl.
    Und diesem Gefühl folgte ich, als ich mich aus dem kleinen Wächterhaus des Leuchtturms stahl, wie ein Dieb, Mephisto an meiner Seite, und mit festen Schritten auf das Boot zuging, den Motor anwarf, um zurück auf die Insel zu fahren.
    Zurück nach Isola.

Einundzwanzig
    WIE HATTE ICH das damals tun können? Wenn mich heute die Fragen überfallen, ist auch diese darunter. Wie hatte ich die anderen so zurücklassen können, ohne Boot, ohne eine Fluchtmöglichkeit – und vor allem: ohne zu wissen, was mich auf der Insel erwartete? Möglicherweise brachte ich nicht nur mich selbst in Lebensgefahr, sondern auch sie; Alpha, Milky und Elfe. War ich

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