Isola - Roman
anzustoßen, sah mich Elfe aus ihren goldbraunen Augen an und lächelte. Es war ein Lächeln, in dem sich vieles mischte, Schmerz und Verzweiflung, aber auch Dankbarkeit und Freundschaft. Elfe und ich sind Freundinnen bis heute. Neben Solo, Neander und Esperança gehört sie zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben.
Solo saß neben mir und drückte meine Hand, und als ich meine Kerze auf den Tisch stellte, nahm er mir das Feuerzeug aus der Hand und zündete sie an. Für ein paar Sekunden saßen wir alle ganz still und ich beobachtete die kleine Flamme, wie sie unruhig hin und her flackerte, bis das Feuer den ganzen Docht erfasst hatte und die Flamme ruhig werden ließ.
Ich erinnere mich noch genau, dass ich in diesem Augen blick zum ersten Mal die Empfindung hatte, dass Leben vor allen Dingen Licht ist und dass es nur sehr wenig braucht, um dieses Licht zum Erlöschen zu bringen.
Als ich zu Solo sah, war sein schönes Gesicht starr vor Schmerz und ich wusste, dass er an seinen Bruder dachte. An seinen Zwillingsbruder, den er unter so schrecklichen Umständen gefunden und gleich darauf wieder verloren hatte.
Die Kinder waren längst aufgestanden und spielten mit Mephisto, im Hintergrund hörte ich sie lachen und streiten, ein paar Mal ertönte Mephistos Bellen und irgendwann kam meine Nichte Vera, um mir ein Bild in die Hand zu drücken, das sie für meinen Geburtstag gemalt hatte. Es war ein Strichmännchen oder vielmehr: ein Mädchen, mit grünen Punkten als Augen und einem kirschroten, lachenden Mund. Unter ihr war ein blauer Streifen für das Meer und über ihr ein gelber Kreis für die Sonne, die ebenfalls einen lachenden Mund hatte.
»Wir haben gar nichts«, sagte Milky. »Wir haben gar kein Geschenk für dich.«
Ich winkte lächelnd ab. Aber dann fiel mir ein, dass ich doch ein Geschenk hatte. Ein Geschenk von Tobias. Ich hatte es vor unserer Abfahrt von Isola im Bunker unter der Matratze des Metallbettes hervorgeholt und unbemerkt in meine Jeans geschoben. Es war eine CD, zumindest dachte ich, dass es eine wäre, aber als ich sie aus der Hülle zog, las ich die AufschriftDVD auf der silbernen Scheibe. Daneben stand in der schräg stehenden Handschrift eines Linkshänders das Wort Isola.
In Esperanças Schlafzimmer gab es einen Fernseher mit DVD-Player, und bevor ich die DVD einlegte, schloss ich die Tür.
Ich hätte weglaufen können . Das war der Gedanke, der mir so oft in den Kopf gekommen war. Aber ich war nicht weggelaufen. Ich war geblieben und bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur die schrecklichen Momente im Kopf gehabt, all das Furchtbare, was auf der Insel geschehen war.
Doch Tobias hatte mir eine andere Insel geschenkt. Eine Insel, die es auch gegeben hatte, für mich – für alle vielleicht – und damit hoffentlich auch für ihn. Daran will ich glauben, daran halte ich fest.
Ich sah mich aus dem Boot steigen, als Letzte der Gruppe stand ich am Strand, zog das Foto meiner Schwester aus der Tasche und betrachtete es, bevor ich den Kopf hob und in die Kamera schaute. Mein Blick war skeptisch und wach, meine grünen Augen funkelten im Licht der untergehenden Sonne.
Ich saß am Glastisch im Haupthaus und lachte, bis mir die Tränen die Wangen herunterliefen. Es war der Augenblick, in dem Joker seine Gummipuppe aufgeblasen hatte.
Ich trat allein in den nächtlichen Garten, um meinen Körper hatte ich ein weißes Bettlaken gewickelt. Mit meinem Feuerzeug in der Hand blickte ich in einen Himmel voller Sterne und ging dann langsam durch das Dickicht der Palmen zum Ufer.
Ich hockte neben Neander im Wald und hörte mich fragen, was das für ein Vogel sei, von dem dieser Gesang käme, und Neander wisperte zurück: »Es ist ein Bem-Te-Vi . In Brasilien kennt ihn angeblich jedes Kind. Er soll auf den ersten Blick sehr unscheinbar sein, braune Federn, schwarz-weißer Kopf, kaum größer als ein Spatz. Aber wenn er seine Flügel ausbreitet, zeigt er seine leuchtend gelbe Brust und in der Luft soll er aussehen wie eine fliegende Zitrone. Sein Name klingt genau wie sein Ruf, Beng-Tschiwi. Auf Deutsch heißt das: Ich hab dich gesehen.«
Ich saß mit den anderen beim Frühstück im Haupthaus. »Und woher kommst du, Katzenauge?«, hörte ich Jokers Stimme im Hintergrund fragen und ich sah mich selbst mit einer ruhigen Gelassenheit antworten: »Aus einer Favela in Rio.«
Ich lag im Bett unter dem weißen Baldachin. Es war Nacht, in meinen Armen hielt ich Moon, ihre Stimme war kaum mehr als ein
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