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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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kleinen, von Palmen gesäumten Haus im Stadtteil Ipanema absetzte, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich klammerte mich an Solos Hand, und als mir ein kleines Mädchen die Tür öffnete, hatte ich im ersten Moment das Gefühl, mich selbst zu sehen. Das Mädchen hatte olivfarbene Haut und schräg stehende grüne Augen, ihr helles Haar war zu vielen kleinen Zöpfen geflochten.
    »Tia Vera?«, fragte sie mit einem schüchternen Lächeln. Ich nickte, mit Tränen in den Augen. Dann tauchte eine Frau im Türrahmen auf und im nächsten Moment lag ich in den Armen meiner Schwester.
    Meine Nichte hieß Vera, genau wie ich. Sie war sieben Jahre alt, ihre Brüder, Eduardo und Fernando, waren neun und fünf. Die drei wichen keine Sekunde von meiner Seite, zogen mich in ihr Zimmer und zeigten mir ihre Schätze, zu denen neben jeder Menge Barbiepuppen, Plastikspielzeugen und Computerspielen auch eine Berimbau zählte. Sie gehörte Eduardo, meinem älteren Neffen, er besuchte, wie Esperança mir auf Englisch erzählte, eine Capoeiraschule und hatte die Berimbau unter der Anleitung seines Meisters selbst angefertigt.
    Esperanças Mann war Journalist und gerade in Bahia, wo er eine Reportage über Musiker machte. Als Esperança von ihm sprach, erzählten ihre Augen von einer glücklichen Ehe. Sie sah anders aus als auf den Bildern, die ich im Internet von ihr gefunden hatte, runder, sie trug keine Schminke und ihre schwarzen Locken wurden von einem einfachen Haargummi zusammengehalten, aber ihr leuchtender Blick hatte sich nicht verändert.
    Esperanças Wohnung war klein und schlicht. Neben dem Kinderzimmer, das sich die drei Kinder teilten, gab es eine winzige Küche, ein Duschbad, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, in dem der Tisch bereits für uns gedeckt war. An den Wänden hingen Fotos von Straßenkindern, auch ein Bild der Kapelle war dabei, dem Ort, an dem mich Esperança damals meinen Adoptiveltern Bernhard und Erika überlassen hatte. Und an einer Seite der Wand hing eine Galerie von Bildern, die mich zeigten. An meinem ersten Schultag, mit braunen Zöpfen und einer großen Schultüte im Arm. Ich auf dem Fahrrad, mit Stützrädern, roten Wangen und stolzem Lächeln. Ich als schwarze Raubkatze, verkleidet zum Karneval, in einem Kostüm, das Erika für mich genäht hatte. Ich beim Tanzen in unserem Garten in Hamburg, vor den großen Buchsbäumen, die Erika so liebte.
    »Bernhard hat mir geschrieben«, sagte Esperança, als sie hinter mich trat und mir ihre Hand auf die Schulter legte. »Er hatte meine Adresse durch die Organisation erfahren, für die ich arbeite, und in jedem Brief hat er Fotos geschickt. Du siehst glücklich aus.«
    Ja, dachte ich und auf einmal hatte ich Sehnsucht nach meinen Eltern. Nach Erika und Bernhard. Ich würde sie anrufen – aber nicht jetzt. Erst heute fällt mir ein, dass ich Esperança an diesem Abend gar nicht nach meinen richtigen Eltern gefragt hatte. Dass sie gestorben waren, erzählte mir Esperança später, auch dass sie keinen Kontakt mehr zu meinen Brüdern hatte, die mittlerweile in der Favela mit Drogen dealten.
    Wir setzten uns um den Esstisch, Milky, Elfe, Solo, meine Nichte Vera, meine Neffen und ich. Esperança hatte Feijoada gekocht, einen brasilianischen Bohneneintopf, der in den Zeiten der Sklaverei entstanden ist und für mich eins der köstlichsten Beispiele dafür ist, dass die Not erfinderisch macht. Früher verkochten die Sklaven die Abfälle, die das Herrscherhaus für sie abwarf; minderwertige Fleischreste, wie Schweinefüße und -ohren mit Gemüse und Bohnen. Heute gilt Feijoada als das Nationalgericht Brasiliens und wird neben Schweinefleisch auch mit Räucherwürstchen, Trockenfleisch, Knoblauch und Pfefferschoten zubereitet. Dazu gibt es Reis, brasilianischen Grünkohl, Orangenscheiben und Farofa – ein geröstetes Maniokmehl.
    Milky, der zwischen Elfe und meiner Nichte Vera saß, nahm sich reichlich und ließ sich von Vera brasilianische Worte vorsagen, die er zum größten Vergnügen meiner Nichte so lange wiederholte, bis sie halbwegs richtig klangen. Sein Ausschlag auf den Armen sah noch immer übel aus, obwohl ihm Tempelhoffs Assistentin eine Salbe besorgt hatte, aber sein Gesicht wirkte an diesem Abend entspannt und meine kleine Nichte entlockte ihm alle paar Minuten ein Lachen, während Eduardo Mephisto heimlich mit Fleischstücken fütterte.
    Elfe sagte den ganzen Abend über kaum ein Wort, aber als meine Schwester ihr Glas hob, um auf meinen Geburtstag

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