Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
Vom Netzwerk:
des Helden Gregor Samsa, wollte Kafka schreiben: »Sein letzter Blick streifte die Mutter …« Stattdessen schrieb er: »Sein letzter Brief …« Offenbar ein Reflex der lebenswichtigen Bedeutung, die der Briefverkehr mit Felice Bauer für Kafka gewonnen hatte.
    – Im Manuskript des Process schreibt Kafka stets »F.B.«für »Fräulein Bürstner«. Auf zwei aufeinander folgenden Manuskriptseiten schreibt er jedoch zunächst »F. K«und muss verbessern. Über die Bedeutung darf man spekulieren: Franz Kafka, Felice Kafka, Fräulein Kafka … Wenige Wochen zuvor war die Verlobung mit Felice Bauer aufgelöst worden.
    – In der unvollendeten Erzählung über einen »älteren Junggesellen« namens Blumfeld kürzt Kafka den Namen seines Helden durchgängig mit »Bl.« ab. Auch hier unterläuft ihm zweimal ein »K«, vermutlich deshalb, weil er in Gedanken noch beim Process ist, dessen Niederschrift er eben abgebrochen hat.

38
    Kafka liest Korrektur
    Im Sommer 1917 verabredete Kafka mit seinem Verleger Kurt Wolff, unter dem Titel Ein Landarzt eine Reihe kürzerer Erzählungen zu veröffentlichen. Wegen Papiermangels, Schwierigkeiten mit der von Wolff vorgeschlagenen übergroßen Schrifttype sowie aufgrund des allgegenwärtigen kriegsbedingten Mangels an Fachkräften erstreckte sich die Herstellung des Buchs jedoch über Jahre. Der Briefwechsel zwischen Kafka und dem Verlag ist nur fragmentarisch überliefert; er lässt jedoch erkennen, dass Kafka die Korrekturbögen in mehreren Fortsetzungen, mit großen zeitlichen Abständen und gelegentlich nur auf Drängen Max Brods erhielt. Kafka war darüber so verärgert, dass er zeitweilig erwog, den Verlag zu wechseln. Im März 1918 sandte er gar einen (wie er Brod mitteilte) »Ultimatumbrief« an Wolff, der ebenfalls nicht überliefert ist. Die letzten Korrekturen gingen Kafka zwischen Mitte Februar und Ende November 1919 zu, in mindestens neun separaten Lieferungen.
    Wie akribisch und unnachgiebig Kafka Korrektur las, zeigt das Titelblatt, das er mit der letzten Sendung erhielt. Der Landarzt. Neue Betrachtungen war eine Titelformulierung, mit der der Verlag – inhaltlich verfehlt und ohne Rücksprache mit dem Autor – an Kafkas erstes Buch Betrachtung anknüpfen wollte. Kafka bestand jedoch auf dem von ihm gewählten Titel Ein Landarzt. Kleine Erzählungen . Unklar ist, warum er auch das Erscheinungsjahr tilgte; vielleicht deshalb, weil sich bereits abzeichnete, dass der Band erst im Jahr 1920 erscheinen würde.
    Der Band wurde im Mai 1920 mit einer Auflage von höchstens 2 000 Exemplaren ausgeliefert. Er enthält die Texte: Der neue Advokat. Ein Landarzt. Auf der Galerie. Ein altes Blatt. Vor dem Gesetz. Schakale und Araber. Ein Besuch im Bergwerk. Das nächste Dorf. Eine kaiserliche Botschaft. Die Sorge des Hausvaters. Elf Söhne. Ein Brudermord. Ein Traum. Ein Bericht für eine Akademie .
    Ein Landarzt war das letzte Buch Kafkas im Kurt Wolff Verlag. Besprochen wurde es von einem einzigen Rezensenten.

39
    Ein Komma zu viel
Hier ist das Inserat, es hätte wohl ein wenig scharfsinniger und verständlicher gemacht werden können, besonders die »Wiener Handels- und Sprachschulen« stehn dort verlassen und sinnlos; den Beistrich nach Lehrerin habe allerdings ich nicht gemacht. Sag übrigens was Du verbessert haben willst und ich lasse es nächstens abändern. Vorläufig ist es also am 26 erschienen und erscheint zunächst am 1, 5 und 12.
    Milena Pollak, geborene Jesenská, erteilte tschechischen Sprachunterricht an einer Wiener Handelsschule, suchte aber wegen ihrer desolaten finanziellen Situation dringend auch nach privaten Schülern. Da sie sich im Sommer 1920 für einige Wochen in Salzburg und St. Gilgen aufhielt, bat sie Kafka, für sie eine entsprechende deutschsprachige Anzeige in der Wiener Neuen Freien Presse aufzugeben.
    Die von Kafka formulierte und in einem Prager Inseratenbüro eingereichte Anzeige erschien erstmals am 26. August (obere Abbildung). Zu seinem Unmut hatte jedoch der Setzer nicht erkannt, dass die »Wiener Handels- und Sprachschulen« hier im Genetiv stehen, und hatte daher ein irritierendes Komma eingefügt. Mit diesem Fehler, der sich nachträglich nicht mehr korrigieren ließ, erschien das Inserat im September noch weitere drei Male.
    Kafkas Bemerkung gegenüber Jesenská lässt erkennen, dass er sich mangelnde Klarheit selbst bei einem derartigen Gebrauchstext nicht ohne weiteres verzieh. Als er zwei Monate später erneut für sie

Weitere Kostenlose Bücher