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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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Über die hat er mir einmal gesagt: Sie wollen zeigen, daß sie sich gut im hebräischen Lexikon auskennen. Er war kein Zionist, aber er beneidete zutiefst jene, die den großen Grundsatz des Zionismus selbst verwirklichten, was schlicht bedeutet, nach Erez Israel einzuwandern. Er war kein Zionist, aber alles, was in unserem Land passierte, bewegte ihn sehr. Besonders interessierte er sich für das Wirken der erez-israelischen Jugend und für ihre Erziehung. Einmal fand er den Brief eines erez-israelischen Jugendlichen in einer Zeitung abgedruckt, der einen Ausflug irgendwo dort in jene Wüsten beschrieb, mit denen unser Land gesegnet ist, und diese Beschreibung war nicht gerade ermutigend, man erfuhr fast gar nichts, außer von Müdigkeit, Durst, Schweiß, aber gerade dies, die Schilderung gerade der negativen, abstoßenden Seiten – genau das gefiel Kafka…
Er war wirklich ein sonderbarer Mensch.
Einmal offenbarte er mir seinen Wunsch, alle seine noch nicht veröffentlichen Schriften zu verbrennen. »Wenn dem wirklich so ist«, fragte ich ihn, »warum schreibst und veröffentlichst du dann überhaupt?« »Das weiß ich nicht genau«, antwortete Kafka mir, »irgend etwas drängt mich, eine Erinnerung zu hinterlassen, trotz allem…« Und tatsächlich verbrannte er danach einen Großteil seiner Schriften. Schade, wie schade, daß sie untergegangen sind.
Kafkas besonderer Humor, der mit Bitterkeit und Trockenheit einherging, blieb ihm bis in seine letzte Stunde erhalten. Als diese gekommen war, wollte der Arzt, der ihn behandelte, die Türe aufmachen. Damit der Kranke aber nicht den Verdacht schöpfte, er wolle ihn alleine lassen, stand er auf und sagte: »Ich gehe hier nicht weg.« »Aber ich gehe hier weg«, antwortete Kafka und hauchte seine Seele aus.
Dies ist vielleicht der Ort, eine merkwürdige Begebenheit zu berichten, die zwar in keinerlei Zusammenhang mit Kafka selbst steht – wir sind doch alle aufgeklärte Leute, ohne jeden Makel von Aberglauben –, und trotzdem führe ich sie allein zu dem Zwecke an, um etwas zu illustrieren. Denn wenn er dies bewirkt hätte, so würden wir zu recht sagen, daß diese Sache charakteristischer für ihn ist als hundert andere Taten. Es begab sich lange nach seinem Tod, im Hause unseres gemeinsamen Freundes Max Brod. Der hatte es auf sich genommen, die wenigen übriggebliebenen Texte des verstorbenen Kafka zu ordnen und zu veröffentlichen. Unnötig zu sagen, daß er mit diesen Schriften vertrauenswürdig umging, sie hoch schätzte und sie wie seinen Augapfel hütete. Und siehe, eines Abends besuchte ihn ein bekannter Schriftsteller, und Brod wollte ihm die Handschriften Kafkas zeigen, in die er niemandem so leicht Einblick gewährte, außer diesem Mann, einfach weil das Anschauen ihnen Schaden zufügen könne. Er war bereits dabei, die Schriften aus ihren Mappen zu holen und wollte sie gerade dem Gast zeigen. Doch in diesem Moment verlosch das Licht im ganzen Haus und ebenso in den Nachbarhäusern aufgrund eines Zwischenfalls in der Stromversorgung, und der ehrenwerte Gast ging enttäuscht nach Hause; er hatte auch nicht einen Buchstaben gesehen.
Wie gesagt, man muß dieser Tatsache keinerlei Bedeutung beimessen, und ich erwähne es nur als ein Beispiel. In jedem Fall enden hiermit meine gegenwärtigen Erinnerungen an Kafka. Sollte mir noch etwas einfallen, werde ich natürlich nicht zögern, es für Sie und für Ihre Leser sogleich aufzuschreiben.
Hochachtungsvoll
Mordechai Georgo Langer
Tel Aviv, 17. Schewat 5701 (14. Februar 1941)

Georg Langer
    Georg (Jiří) Mordechai Langer (1894–1943), der jüngere Bruder des jüdisch-tschechischen Arztes und Schriftstellers František Langer, lernte Kafka vermutlich im Sommer 1915 kennen. Zu diesem Zeitpunkt war er Anhänger des Chassidismus und hatte – zum Schrecken seiner assimilierten Familie – auch schon einige Monate am ›Hof‹ des ›Wunderrabbi von Belz‹ (Galizien) verbracht. Das daraus resultierende Insider-Wissen, aber auch Langers Hebräischkenntnisse waren für Kafka und seine engeren Freunde äußerst verlockend. Dass es Kafka durch Hebräischlektionen – unter anderem bei Langer – und Selbststudium tatsächlich zu einer flüssigen Beherrschung des Neuhebräischen brachte, lässt sich durch Erinnerungen anderer Zeitzeugen allerdings nicht bestätigen (siehe auch Fundstück 48). Langers Äußerungen über Kafkas Tod stammen aus dritter Quelle und sind ungenau wiedergegeben.

87
    Kafka als Prager

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