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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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bekam, erfuhr Brod dies nicht von Kafka selbst, sondern mündlich von dessen Vater.

91
    Karl Kraus will keinen Brief von Kafka
    Kafka hat vermutlich mehrere Lesungen von Karl Kraus besucht, zu einer persönlichen Begegnung oder zum Austausch von Briefen ist es jedoch nie gekommen. Auch hat Kraus in seiner Zeitschrift Die Fackel Kafka kein einziges Mal erwähnt, obwohl er sein Werk zweifellos zur Kenntnis nahm und ihn in einem privaten Brief ausdrücklich als »Dichter« bezeichnete – aus seinem Mund die höchste Anerkennung. Der einzige Versuch, Kontakt aufzunehmen, ging von Kafka aus – unter sonderbaren Umständen und ohne Erfolg.
    Am 18. November 1917 hielt Karl Kraus in Wien eine Gedenkrede für den befreundeten Lyriker Franz Janowitz, der zwei Wochen zuvor im Alter von nur 25 Jahren an der italienischen Front getötet worden war. Am Ende dieser Rede sagte Kraus: »Ich wartete auf sein Buch und musste mich mit der Feldpost begnügen. Aus einem bescheidenen Heftchen, das er im Jahre 1913 nur widerwillig einer fragwürdigen Anthologie einverleiben ließ, ertöne nun seine Stimme, so leise, so tief.« Den vollständigen Text dieser Gedenkrede veröffentlichte Kraus im Mai 1918 in der Fackel .
    Bei jener »fragwürdigen Anthologie« handelte es sich um den von Max Brod herausgegebenen Band Arkadia. Ein Jahrbuch für Dichtkunst (Kurt Wolff Verlag), in dem 16 Gedichte des noch völlig unbekannten Janowitz abgedruckt worden waren. Dass der Autor ihm diese Stücke nur »widerwillig« überlassen habe, wollte Brod, der sich als Entdecker von Janowitz empfand, natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er besprach sich während eines langen Spaziergangs mit Kafka, was zu tun sei.
    Da eine direkte Intervention zwecklos gewesen wäre – Kraus war ein aggressiver Gegner von Brod –, schlug Kafka vor, als Vermittler Franz Janowitz’ älteren Bruder Hans einzuschalten, der ebenfalls zum Kreis von Karl Kraus gehörte. Mehrere Tage lang war Kafka damit beschäftigt, einen diplomatischen Brief an Hans Janowitz zu formulieren: Max Brod liege nichts an Polemik oder öffentlicher Richtigstellung, schrieb Kafka, doch habe er damals, 1913, einen Brief von Franz Janowitz erhalten, dessen Ton die Dankbarkeit für Brods Engagement eindeutig bezeuge. Diesen Brief schrieb nun Kafka eigenhändig ab und legte ihn dem Schreiben an Hans Janowitz bei – mit der Bitte, ihn an Kraus zur persönlichen Kenntnisnahme weiterzuleiten.
    Es dauerte mehrere Monate, ehe die Antwort von Hans Janowitz eintraf. Nach den Erinnerungen Brods hatte sie folgenden Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Kafka! Ich bin nicht in der Lage, Ihren Brief an Herrn Karl Kraus weiterzuleiten. Herr Kraus würde auch keinesfalls eine Erklärung von Herrn Brod entgegennehmen.

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    Frank und Milena
    Ob Kafka von einer der Frauen, mit denen er befreundet war, je mit Kosenamen angesprochen wurde, wissen wir nicht. Überliefert ist jedoch, dass Milena Jesenská sich mit Kafkas Namen einen besonderen Spaß erlaubte. Nachdem er mehrere seiner frühen Briefe an sie mit »FranzK.« unterzeichnet hatte, was man auf den ersten Blick – siehe die Abbildung – leicht als »Frank« lesen kann, nannte sie ihn fortan konsequent Frank, mündlich wie schriftlich. Wie ihre Briefe an Max Brod belegen, blieb sie bei dieser Gewohnheit sogar gegenüber Dritten.
    Kafka scheint den neuen Namen wie einen Ehrentitel getragen zu haben: »Franz« repräsentierte die Vergangenheit, »Frank«die neuen Lebenschancen, die sich durch die Beziehung zu Milena entwickelten. Als Milena Jesenská in ihrer tschechischen Übersetzung von Das Unglück des Junggesellen den Protagonisten etwas zu vital zeichnete, kommentierte Kafka: »Mit Deiner Übersetzung bin ich natürlich ganz einverstanden. Nur verhält sie sich eben zum Text wie Frank zu Franz …«
    Bemerkenswert ist, dass Jesenská nach Kafkas Tod sofort zu dessen wirklichem Vornamen zurückkehrte. Mitte Juli 1924 schrieb sie an Max Brod: »Ich glaube kaum, dass ich über Franz jetzt sprechen könnte …«

93
    Erinnerungen an Onkel Franz
Ich war ein Kind, als der Onkel starb, und ich habe also keine direkten Erinnerungen an Gespräche mit ihm oder gar an seine Handlungen. Trotzdem kann ich mich sehr genau an ihn erinnern, denn er warf seinen Schatten auf unsere Kindheit. Seine drei Schwestern standen ganz unter seinem Einfluss, sie liebten und verehrten ihn als eine Art höheres Wesen. Wir Kinder liebten ihn nicht sehr, er schien uns unnahbar und

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