Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
sämtliche österreichischen Kommissariate die entsprechenden Karteikästen zu durchblättern und das Ergebnis telegrafisch nach Prag zu übermitteln. Nachdem dieser landesweite Datenabgleich ein günstiges Resultat gezeitigt hatte, konnte das Prager Polizeipräsidium bereits am 20. Oktober eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen:
Gegen JuDr. Franz Kafka, Vicesekretär der Arbeiterunfallversicherungsanstalt liegt weder in staatsbürgerlicher noch in sittlicher Hinsicht etwas Nachteiliges vor.
Damit stand der Verleihung eines kleinen Ordens an Kafka eigentlich nichts mehr im Weg. Doch er hatte Pech. Denn der Staat, dem er nach Kräften gedient hatte und der ihn nun auszeichnen wollte, existierte bereits drei Wochen später nicht mehr.
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Letzter Gruß aus der Monarchie
Sehr geehrter Verlag!
Gleichzeitig schicke ich Ihnen express-rekommando das Manuscript der »Strafkolonie« mit einem Brief. Meine Adresse ist: Prag, Pořič 7
Hochachtungsvoll
ergeben
Dr Kafka II XI 18
Kafkas Postkarte an den Kurt Wolff Verlag in Leipzig ist bemerkenswert schon wegen des Datums: Am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg mit einem von Deutschland unterzeichneten Waffenstillstand, nachdem tags zuvor Wilhelm II. nach Holland geflohen war; gleichzeitig trat der österreichisch-ungarische Kaiser Karl I. zurück, was das Ende der k.u.k. Monarchie bedeutete.
Obwohl also Kafka Postkarte wie Manuskript »express-rekommando« nach Deutschland schickte (das heißt als Eilsendungen und per Einschreiben), gingen diese Sendungen ins Ungewisse: Sowohl das Land des Absenders als auch das des Empfängers existierten in ihrer bisherigen Form nicht mehr. In Prag hatte zwar der Tschechische Nationalausschuss bereits Ende Oktober die Verantwortung für die Post übernommen, doch war noch unklar, welche praktischen Auswirkungen dies haben würde.
Wie der Eingangsstempel auf der abgebildeten Postkarte zeigt, traf sie nach zwei Tagen in Leipzig ein. Manuskript und Brief jedoch waren etliche Wochen unterwegs; noch kurz vor Weihnachten bemühte sich der Postbeamte Max Brod um die verschollene Sendung.
Die Erzählung In der Strafkolonie entstand im Oktober 1914; am 10. November 1916 las Kafka sie öffentlich in München vor (siehe Fundstück 40). Kurt Wolff erhielt eine Abschrift spätestens im Sommer 1916, konnte sich jedoch wegen des abschreckenden Stoffs zunächst nicht dazu entschließen, die Geschichte in einem separaten Band zu veröffentlichen. Erst im Herbst 1918 wurden die Verhandlungen mit dem Autor wieder aufgenommen, am 11. November, dem Tag der Postkarte, nahm Kafka noch eine kleine Kürzung des Textes vor. Wegen herstellungstechnischer Probleme, Versäumnissen im Verlag sowie eines Streiks der Buchhändler verzögerte sich die Auslieferung bis Oktober 1919. Bis Mitte 1920 wurde etwa 600 Exemplare verkauft.
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Ein Fragebogen unter Freunden
Fragebogen
Gewichtszunahme?
8 kg
Totalgewicht?
über 65 kg
objektiver Lungenbefund?
Geheimnis des Arztes, angeblich günstig
Temperaturen?
im allgemeinen fieberfrei
Atmung?
nicht gut, an kalten Abenden fast wie im Winter
Unterschrift:
Die einzige Frage die mich in Verlegenheit bringt
Kafka war nur schwer dazu zu bewegen, über den Stand seiner Tuberkuloseerkrankung Verlässliches preiszugeben. Sosehr er zum Klagen neigte, wenn es um psychische Probleme ging, so einsilbig und unklar blieb er, wenn Freunde ihn nach Krankheitssymptomen oder nach den Ergebnissen ärztlicher Untersuchungen fragten. Da sie wussten, wie wenig Kafka von der Schulmedizin hielt (siehe Fundstück 27), und da er häufig ironische Antworten gab, hegten sie einen doppelten Verdacht: Zum einen schien es, als verkenne Kafka den Ernst seiner Situation (darin irrten sie), zum anderen schöpfte er offenkundig die gegebenen Möglichkeiten nicht aus, die Krankheit aufzuhalten (womit sie wohl recht hatten).
Um Kafka endlich einmal zu einer klaren Auskunft zu veranlassen, schickte ihm Max Brod am 12. Juni 1921 in seinen Kurort Tatranské Matliary einen »amtlichen Fragebogen zur ehebaldigsten Ausfüllung und Berichterstattung« – ein Scherz unter Beamten. Kafka ging auf das Spiel zwar ein, doch seine Antworten, die das Entscheidende, den Befund der Lunge, wiederum offenließen, dürften Brod kaum beruhigt haben.
Kafka blieb auch weiterhin diskret. Als er etwa zwei Monate später – noch immer in Matliary – erneut heftiges Fieber
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