Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
»Siehst Du niemand ist hinter mir.« Ebenso drehte sich der Junge um und sah dort mich. »Siehst Du« sagte er ohne Rücksicht darauf, dass ich es hören musste, aber auch ohne daran zu denken »hinter mir steht der Teufel.« »Den sehe ich auch« sagte das Mädchen »aber den meine ich nicht«
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Georg Langers Erinnerungen an Kafka
Sehr geehrter Herausgeber, gerne habe ich Ihren Vorschlag, meine Erinnerungen an meinen verstorbenen Freund Franz Kafka aufzuschreiben, angenommen. Doch sobald ich zur Feder griff, um dies zu tun, wandelte sich meine Freude in Leid, und ich sann nach und suchte lange in meinen Erinnerungen. Trotz der vielen Jahre, die ich in seiner Nähe verbringen durfte, finde ich fast gar nichts, um Ihren Durst und den Durst Ihrer Leser zu stillen und einige lnformationen über diesen erstaunlichen Menschen hinzuzufügen. Vielleicht, werden Sie sagen, ist dies eine Folge des Vergessens? Eher nicht, denn es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht an ihn erinnere, das heißt an die Stärke seiner außerordentlichen Persönlichkeit. Aber ich kann mich an kein konkretes Detail und an nichts Ungewöhnliches erinnern. Womit könnte man dies vergleichen? Mit der Geschichte jenes Schülers des Baal-Schem-Tov, der durch die Welt reiste, um die großen Taten seines Meisters zu verbreiten, und wenn es so weit war, konnte er gar nichts sagen. Genauso verhält es sich mit Franz Kafka. Es hängt mit seiner Natur und seinem Wesen zusammen: Er, Kafka, wollte sich einfach nicht »offenbaren«, das heißt, er wollte es und wollte es nicht, und beides gelang ihm, wie sich im folgenden zeigen wird.
Kafka war ein absolut origineller Mensch. Ein Dichter, dessen Eigenart es war, seine Originalität so gut wie möglich zu verbergen und sich den Leuten gerade als ein ganz gewöhnlicher Mensch und als einer von ihnen zu zeigen. Auf diese Art, wie um uns zu ärgern, hat er mir nichts hinterlassen, an das ich mich beim Schreiben dieser Erinnerungen halten könnte. Ich erinnere mich zwar noch gut an sein trockenes Lachen, an seine behutsamen Bewegungen, an seinen eleganten Stil zu sprechen – übrigens habe ich den Ausdruck »eleganter Stil« von ihm gelernt –, aber was hat dies alles mit dem Schreiben von Erinnerungen zu tun? Nur eines weiß ich gewiß: daß er einen großen Einfluß auf mich hatte, daß ich viel von ihm gelernt habe und ihm zu großem Dank für vieles verpflichtet bin. Von ihm habe ich zum Beispiel gelernt, daß der Mensch jeden Tag ein Gedicht lesen muß. Eines und nicht zwei, so hat er es mir immer wieder geboten, und die Worte des Weisen sind immer lieblich. Mehr könne kein Kopf aushalten. Als meine ersten Gedichte in Elieser Steinmanns Zeitschrift »Kolot« erschienen, sagte Kafka mir, sie hätten eine gewisse Ähnlichkeit mit der chinesischen Lvrik. Ich ging und kaufte mir eine Sammlung chinesischer Lyrik in der französischen Übersetzung von Franz Toussaint, und seitdem liegt dieses schöne Buch immer auf meinem Tisch. Ich sagte, Kafka habe meine Gedichte gelesen. Das bedeutet, daß er Ivrith konnte, und daß diejenigen, die ihre Erinnerungen über ihn niederschrieben, dieses Detail nicht aufgeschrieben haben. Ja. Kafka sprach Ivrith. In seinen letzten Jahren haben wir die ganze Zeit Ivrith gesprochen. Er, der immer wieder beteuerte, er sei kein Zionist, hat unsere Sprache in erwachsenem Alter und mit großem Fleiß gelernt. Und anders als die Prager Zionisten, sprach er fließend Hebräisch, was ihm eine besondere Befriedigung bereitete, und ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß er insgeheim stolz darauf war. Zum Beispiel einmal, als wir in der Straßenbahn fuhren und uns über die Flugzeuge unterhielten, die in diesem Moment über uns am Himmel Prags kreisten, da fragten uns die Tschechen, die mit uns fuhren, als sie die Klänge unserer Sprache hörten, die sie wohl als wohlklingend empfanden, was für eine Sprache wir denn sprechen würden. Und als wir ihnen antworteten, welche Sprache das sei und worüber wir gerade geredet hätten, staunten sie sehr, daß man auf Ivrith sogar über Flugzeuge sprechen könne… Wie sehr leuchtete da Kafkas Gesicht vor Freude und Stolz! Und so freute er sich über jedes Wort Hebräisch, das er von mir lernte, wie einer, der große Beute gemacht hat. Ich nehme an, daß er zu seinem eigenen Vergnügen auch Ivrith gelesen hat, doch er mochte nicht die verquatschten Dichter, die viele Worte machen und absichtlich seltene Wörter benutzen.
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