Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
Stadtgespräch
Zu den ältesten Legenden, die schon bald nach Kafkas Tod aufkamen, gehört die seiner verborgenen dichterischen Existenz. Noch heute ist gelegentlich zu hören, Kafka sei ein zu Lebzeiten »völlig unbekannter« Autor gewesen. Das ist weder wahr, noch wäre Kafka – was ihm ebenfalls unterstellt wurde – über diesen Zustand sehr glücklich gewesen. Zwar fanden seine Publikationen bei weitem nicht so viele Leser und Rezensenten, wie vor dem Hintergrund seines heutigen Weltruhms zu erwarten wäre. Doch wer sich während des Ersten Weltkriegs und in den Jahren danach für avancierte deutschsprachige Literatur interessierte, dem war der Name Kafka geläufig: als eines der vielversprechenden Talente, die vom Lichtkegel der Kritik gelegentlich erfasst wurden. Bereits 1917 wurde Kafka in Kürschners Deutschen Literatur-Kalender aufgenommen, und 1918 erschien er erstmals in dem von Adolf Bartels verfassten und fortlaufend erweiterten Kompendium Die deutsche Dichtung der Gegenwart.
Erst recht kein Unbekannter war der Schriftsteller Franz Kafka in seiner Heimatstadt Prag. Spätestens, seit er mit dem Fontanepreis in Zusammenhang gebracht wurde (siehe Fundstück 63), gelangte sein Ruf über den Kreis der Freunde und Kollegen weit hinaus, und wer am reichen kulturellen Leben Prags interessiert war, kannte den Namen Kafka – zumindest innerhalb der deutschen Minorität. So wurden etwa in einer kunstgeschichtlichen Vorlesung an der Deutschen Technischen Hochschule (Wintersemester 1919/20) Texte Kafkas herangezogen, um den Begriff ›Expressionismus‹ zu erläutern.
Ein anderer augenfälliger Beleg findet sich in der Morgenausgabe des Prager Tagblatt vom 11. Juni 1918, wo auf ein und derselben Seite Kafkas Name dreimal genannt wird. In einer Rezension von Max Brods Bühnenwerk Die Höhe des Gefühls schreibt Berthold Viertel:
Der neuprager Ton, der, wie die »Blätter der Kammerspiele« richtig vermerken, von Laforgue über Brod zu Werfel führte (aber der reinste Dichter des Kreises ist Franz Kafka), mischt Schiller mit Alltagsjargon, Pathetik (bis zu den Sternen) mit Rührung (über die Gewöhnlichkeit) und mit Erbarmen (mit dem Menschenherzen).
In einem weiteren Feuilleton von Richard Katz mit dem Titel ›Im Prager Literaten-Café‹ heißt es zunächst:
Von Salus und Adler, den Ältesten, führt eine komplette zeitgenössische Literaturgeschichte über Brod, Werfel, Kafka (mit Abzweigungen zu Meyrink, Lepin, Oskar Baum und einigen Dutzend anderen) zu Schulz, Feigl, Fuchs, Urzidil usw. den Jüngeren und von ihnen wieder zu den Allerjüngsten, die Werfel schon in der Quarta »überwunden« haben.
Gegen Ende dieses Textes kommt dann Katz nochmals auf Kafka zu sprechen:
… Franz Kafka, der für seine Erzählungen »Der Heizer« und »Die Verwandlung« den Fontane-Preis erhielt, zog sich sensitiv zurück, kaufte irgendwo in Deutschböhmen einen Garten, in dem er – vegetarisch dem Essen und der Beschäftigung nach – Rückkehr zur Natur sucht …
Es war zwar nicht viel Wahres an diesen Kaffeehaus-Gerüchten, doch offensichtlich ist, dass Katz den Namen Kafka bei den Lesern des Feuilletons als bekannt voraussetzt. Und das, noch ehe von den Landarzt -Erzählungen und von Kafkas Romanen auch nur eine Zeile veröffentlicht war.
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Gegen Doktor Kafka liegt nichts vor
An das K.k. Polizei-Präsidium in Prag.
In Angelegenheit der Anträge betreffend Auszeichnungen wegen Verdiensten auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigten-Fürsorge ersuchen wir in die Reihe derselben auch Herrn Dr. Franz Kafka , Vizesekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag aufnehmen zu wollen.
Dr. Franz Kafka besorgt neben der Agenda der Versicherungstechnischen Abteilung die Vorbereitung und die Erledigung der Agenda des Ausschusses für Heilbehandlung seit dem Jahre 1915. Er erledigt die Korrespondenz betreffend die Gründung und den Betrieb der Heilstätten. Insbesondere obliegen ihm die Angelegenheiten, betreffend die von der Staatlichen Landeszentrale geführten Krieger-Nervenheilanstalt in Frankenstein.
Eine Auszeichnung für Kafka, für kriegswichtige Tätigkeiten beantragt von der ›Staatlichen Landeszentrale zur Fürsorge für heimkehrende Krieger‹ am 9. Oktober 1918. Um diese Auszeichnung vornehmen zu können, musste vonseiten der Polizei zunächst einmal festgestellt werden, ob gegen den Aspiranten irgendwelche Beschwerden vorlagen, und zur Feststellung dessen hatten
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