Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
Berufe« sind häufig nicht identisch mit den später tatsächlich ausgeübten Berufen – so auch in Kafkas Fall. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass »Philosophie« hier nicht das Lehrfach meinte, sondern als Dachbegriff für alle Geisteswissenschaften verwendet wurde.
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Kafkas Testamente
[I]
Liebster Max, meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nachlass (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s. w. findet restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten.
Dein
Franz Kafka
[II]
Lieber Max, vielleicht stehe ich diesmal doch nicht mehr auf, das Kommen der Lungenentzündung ist nach dem Monat Lungenfieber genug wahrscheinlich und nicht einmal dass ich es niederschreibe wird sie abwehren, trotzdem es eine gewisse Macht hat.
Für diesen Fall also mein letzter Wille hinsichtlich alles von mir Geschriebenem:
Von allem was ich geschrieben habe gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der »Betrachtung« mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden). Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.
Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenem von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist (die meisten Adressaten kennst Du ja, in der Hauptsache handelt es sich um Frau Felice M, Frau Julie geb. Wohryzek und Frau Milena Pollak, vergiss besonders nicht paar Hefte, die Frau Pollak hat) – alles dieses ist ausnahmslos am liebsten ungelesen (doch wehre ich Dir nicht hineinzuschauen, am liebsten wäre es mir allerdings wenn Du es nicht tust, jedenfalls aber darf niemand anderer hineinschauen) – alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich
Franz
Diese beiden testamentarischen Verfügungen – die erste wahrscheinlich vom Herbst/Winter 1921, die zweite vom 29. November 1922 – fand Max Brod nach dem Tod des Freundes unter dessen Papieren. Wie bekannt, hat sich Brod an die Verfügungen nicht gehalten, worin ihm die überwältigende Mehrzahl von Kritikern und Lesern recht gab. Allerdings waren ausgerechnet die beiden Testamente selbst die ersten Texte, die Brod nach dem Tod Kafkas aus dessen Nachlass veröffentlichte (in der Weltbühne am 17. Juli 1924).
Bereits früher gab es mindestens noch ein weiteres Testament Kafkas, dessen Inhalt zu erahnen ist. Als Brod Ende 1916 Kafka darum bat, im Fall seines Todes gewisse intime Dokumente zu sichern und zu vernichten, antwortete Kafka: »es wird, nicht besorgt, aber beachtet werden. Übrigens liegt in meiner Brieftasche schon seit längerer Zeit eine an Dich adressierte Visitkarte mit ähnlicher sehr einfacher Verfügung (allerdings auch in Geldsachen)«.
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Der letzte Brief
[An Julie und Hermann Kafka in Prag
Kierling bei Wien, Sanatorium Dr. Hoffmann, 2. Juni 1924]
Liebste Eltern, also die Besuche, von denen Ihr manchmal schreibt. Ich überlege es jeden Tag, denn es ist für mich eine sehr wichtige Sache. So schön wäre es, so lange waren wir schon nicht beisammen, das Prager Beisammensein rechne ich nicht, das war eine Wohnungsstörung, aber friedlich paar Tage beisammenzusein, in einer schönen Gegend, allein, ich erinnere mich gar nicht, wann das eigentlich war, einmal paar Stunden in Franzensbad. Und dann ›ein gutes Glas Bier‹ zusammentrinken, wie Ihr schreibt, woraus ich sehe, dass der Vater vom Heurigen nicht viel hält, worin ich ihm hinsichtlich des Bieres auch zustimme. Übrigens sind wir, wie ich mich jetzt während der Hitzen öfters erinnere, schon einmal regelmässig gemeinsame Biertrinker gewesen, vor vielen
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