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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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Jahren, wenn der Vater auf die Civilschwimmschule mich mitnahm.
Das und vieles andere spricht für den Besuch, aber zu viel spricht dagegen. Nun erstens wird ja wahrscheinlich der Vater wegen der Passschwierigkeiten nicht kommen können. Das nimmt natürlich dem Besuch einen grossen Teil seines Sinnes, vor allem aber wird dadurch die Mutter, von wem immer sie auch sonst begleitet sei, allzusehr auf mich hingeleitet sein, auf mich verwiesen sein und ich bin noch immer nicht sehr schön, gar nicht sehenswert. Die Schwierigkeiten der ersten Zeit hier um und in Wien kennt Ihr, sie haben mich etwas heruntergebracht; sie verhinderten ein schnelles Hinuntergehn des Fiebers, das an meiner weitern Schwächung arbeitete; die Überraschung der Kehlkopfsache schwächte in der ersten Zeit mehr, als sachlich ihr zukam – erst jetzt arbeite ich mich mit der in der Ferne völlig unvorstellbaren Hilfe von Dora und Robert (was wäre ich ohne sie!) aus allen diesen Schwächungen hinaus. Störungen gibt es auch jetzt, so z.B. ein noch nicht ganz überwundener Darmkathar aus den letzten Tagen. Das alles wirkt zusammen, dass ich trotz meiner wunderbaren Helfer, trotz guter Luft und Kost, fast täglichen Luftbades noch immer nicht recht erholt bin, ja im Ganzen nicht einmal so imstande, wie etwa letzthin in Prag. Rechnet Ihr noch hinzu, dass ich nur flüsternd sprechen darf und auch dies nicht zu oft, Ihr werdet gern auch den Besuch verschieben. Alles ist in den besten Anfängen – letzthin konstatierte ein Professor eine wesentliche Besserung des Kehlkopfes und wenn ich auch gerade diesem sehr liebenswürdigen und uneigennützigen Mann – er kommt wöchentlich einmal mit eigenem Automobil heraus und verlangt dafür fast nichts, so waren mir seine Worte doch ein grosser Trost – alles ist wie gesagt in den besten Anfängen, aber noch die besten Anfänge sind nichts; wenn man dem Besuch – und gar einem Besuch, wie Ihr es wäret – nicht grosse unleugbare, mit Laienaugen messbare Fortschritte zeigen kann, soll man es lieber bleiben lassen. Sollen wir es nicht also vorläufig bleiben lassen, meine lieben Eltern?

letzter Brief, erste Seite
Dass Ihr etwa meine Behandlung hier verbessern oder bereichern könntet, müsst Ihr nicht glauben. Zwar ist der Besitzer des Sanatoriums ein alter kranker Herr, der sich mit der Sache nicht viel abgeben kann, und der Verkehr mit dem sehr angenehmen Assistenzarzt ist mehr freundschaftlich als medicinisch, aber ausser gelegentlichen Specialistenbesuchen ist vor allem Robert da, der sich von mir nicht rührt und statt an seine Prüfungen zu denken, mit allen seinen Kräften an mich denkt, dann ein junger Arzt, zu dem ich grosses Vertrauen habe (ich verdanke ihn wie auch den oben erwähnten Professor dem Arch. Ehrmann) und der 3 mal der Woche herauskommt.
Da ich mich so zu dem Besuch verhalte, [bricht ab, Fortsetzung auf der nächsten Briefseite]
allerdings noch nicht im Auto, sondern bescheiden mit Bahn und Autobus dreimal wöchentlich herauskommt.
[von Dora Diamants Hand:]
Ich nehme ihm den Brief aus d. Hand. Es war ohnehin eine Leistung. Nur noch ein paar Zeilen, die seinem Bitten nach, sehr wichtig zu sein scheinen: [bricht ab]
[von Ottla Kafkas Hand, mit Bleistift:]
Montag geschrieben
am 2. 6. 1924
gestorben 3. 6. 1924

letzter Brief, letzte Seite
    Kafka konnte diesen letzten Brief, den er am Tag vor seinem Tod verfasste, aufgrund körperlicher Schwäche nicht mehr eigenhändig vollenden. Ob das aus zwei Doppelblättern bestehende Schreiben noch abgeschickt wurde, ist zweifelhaft; überliefert ist es mit einem Umschlag, auf dem Kafkas Mutter Julie notierte: »Der letzte Brief von unserem theueren Franz«.
    Die »wunderbaren Helfer« seiner letzten Wochen, von denen Kafka spricht, waren Dora Diamant und der Medizinstudent Robert Klopstock. Mit der »Überraschung der Kehlkopfsache« spielt Kafka auf die Tatsache an, dass die Lungentuberkulose auf den Kehlkopf übergegriffen hatte und dort sehr schnell voranschritt. Wie ernst es um Kafka wirklich stand, wurde allerdings gegenüber seinen Eltern verschleiert, während die drei Schwestern informiert waren.

98
    Die Grabinschrift
Dienstag, Beginn des Monats Siwan 5684. Der obengenannte, prachtvolle, unvermählte Mann, unser Lehrer und Meister Anschel, seligen Angedenkens, ist der Sohn des hochverehrten R. Henoch Kafka, sein Licht möge leuchten. Der Name seiner Mutter ist Jettl. Seine Seele möge eingebunden sein im Bund des ewigen

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