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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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»Vor dem Gericht« meinte sie den Process , wobei sie offensichtlich an die Parabel Vor dem Gesetz dachte, einen Binnentext innerhalb des Romans. Diese Parabel war ihr bekannt – sie war bereits in tschechischer Übersetzung veröffentlicht –, das Manuskript des Process jedoch, das sich schon seit Jahren im Schreibtisch Max Brods befand, kannte sie wahrscheinlich nicht.
    Auch Kafkas briefliche Äußerung über die psychischen Ursachen seiner Lungenerkrankung musste Jesenská aus dem Gedächtnis zitieren. Tatsächlich hatte ihr Kafka vier Jahre zuvor geschrieben: »[ich] denke nur an die Erklärung, die ich mir damals für die Erkrankung in meinem Fall zurechtlegte und die für viele Fälle passt. Es war so, dass das Gehirn die ihm auferlegten Sorgen und Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Es sagte: ›ich gebe es auf; ist hier aber noch jemand, dem an der Erhaltung des Ganzen etwas liegt, dann möge er mir etwas von meiner Last abnehmen und es wird noch ein Weilchen gehn.‹ Da meldete sich die Lunge, viel zu verlieren hatte sie ja wohl nicht. Diese Verhandlungen zwischen Gehirn und Lunge, die ohne mein Wissen vor sich giengen, mögen schrecklich gewesen sein.«

Biografische Notizen
    Bauer, Felice
    Felice Bauer wurde am 18. November 1887 in Neustadt (Oberschlesien) geboren. Ihr Vater Carl Bauer (geb. um 1850, gest. 1914) war Versicherungskaufmann, ihre Mutter Anna, geb. Danziger (1849–1930), war die Tochter eines in Neustadt ansässigen Färbers. Im Jahr 1899 übersiedelte die Familie nach Berlin.
    Felice hatte vier Geschwister: Else (1883–1952), Ferdinand (›Ferri‹, 1884–1952), Erna (1885–1978) und Antonie (›Toni‹, 1892–1918). Else lebte nach ihrer Heirat in Budapest; als Felice sie dort im Jahr 1912 erstmals besuchte, lernte sie bei einem Zwischenaufenthalt in Prag Franz Kafka kennen. Kafka korrespondierte später auch mit Erna, diese Briefe müssen jedoch als verloren gelten. Ein Cousin Felices, der Breslauer Kaufmann Max Friedmann, heiratete Sophie Brod, die Schwester Max Brods.
    Felice Bauer schloss ihre Schulausbildung ohne Abitur ab. Sie wurde 1908 Stenotypistin bei der Schallplattenfirma Odeon, 1909 wechselte sie zur Carl Lindström A. G., die Parlographen herstellte, die damals modernsten Diktiergeräte. In kurzer Frist rückte sie in eine verantwortliche Position auf und hatte 1912 wahrscheinlich schon Prokura. Sie war zuständig für den Vertrieb und repräsentierte die Firma auch auf Verkaufsmessen. Im April 1915 trat sie eine Stelle bei der Technischen Werkstätte Berlin an. Auf Anregung Kafkas wurde sie 1916 auch ehrenamtliche Mitarbeiterin des Jüdischen Volksheims, wo sie eine Mädchenklasse mit überwiegend osteuropäischen Flüchtlingen unterrichtete.
    Nach der endgültigen Trennung von Kafka heiratete Felice Bauer 1919 Moritz Marasse (1873–1950), den Teilhaber einer Berliner Privatbank. Das Paar hatte einen Sohn und eine Tochter, mit denen sie 1931 in die Schweiz, 1936 nach Kalifornien emigrierten. Da die Familie fast ihr gesamtes Vermögen verloren hatte, musste Felice in den USA wieder arbeiten. Sie eröffnete einen Laden, in dem sie von ihr und ihrer Schwester Else gefertigte Strickwaren verkaufte. Felice Bauer starb am 15. Oktober 1960 in Rye nördlich von New York.
    Die Briefe, die sie von Kafka erhalten hatte, musste Felice Bauer in den fünfziger Jahren aus finanziellen Gründen an den Schocken Verlag, New York, verkaufen. 1987 wurden sie von einem bis heute unbekannt gebliebenen europäischen Händler oder Sammler ersteigert.

Baum, Oskar
    Oskar Baum wurde am 21. Januar 1883 als Sohn eines jüdischen Tuchwarenhändlers in Pilsen geboren. Von Geburt an litt er unter einem sehschwachen Auge, das später fast völlig erblindete; im Alter von elf Jahren trug Baum bei einer Rauferei eine irreversible Verletzung auch des zweiten Auges davon. Er musste das Gymnasium in Pilsen verlassen und wurde nach Wien in die jüdische Blindenanstalt ›Hohe Warte‹ geschickt. Nach absolvierter Lehramtsprüfung verließ er 1902 die Anstalt als Lehrer für Klavier und Orgelspiel und zog nach Prag. Hier arbeitete er zunächst als Organist in einer Synagoge, dann als Klavierlehrer. Als Schriftsteller trat er ab 1908 mit Erzählungen und Romanen an die Öffentlichkeit; zu seinen bekanntesten Werken zählen Uferdasein. Abenteuer und Erzählungen aus dem Blindenleben von heute (1908), Das Leben im Dunkeln (1909) und Die Tür ins Unmögliche (1919).
    Mit Kafka wurde Baum im Herbst 1904

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