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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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Die Nazis sind mit der Familie Franz Kafkas so verfahren wie mit tausenden anderen. Alle drei Schwestern wurden irgendwo, irgendwann in Polen vergast …
    Die Autorin dieser Aufzeichnungen, Gerti Kaufmann (geb. Hermann, 1912–1972), war eine Tochter von Kafkas ältester Schwester Elli. Zumindest im Sommer 1923 muss sie ihren Onkel Franz Kafka aus größerer Nähe erlebt haben, als aus ihren Erinnerungen hervorgeht, denn sie verbrachte mit ihm, ihrer Mutter und den Geschwistern einen fünfwöchigen Urlaub im Ostseebad Müritz. Erhalten blieb auch ein Buchgeschenk Kafkas an Gerti, siehe das Fundstück 65: ›Selbstgespräch des Onkel Franz‹.

Gerti Hermann

94
    Liebesgedicht für Kafka
Else Bergmann
 
Erinnerung
für F. K.
Ich habe vielerlei Männer genossen
Neugier des Leibes und heißer Drang
Doch einmal nur himmlischen Grund getroffen
In dieses Lebens jagender Zeit
Es war ein Hauch, kaum wars ein Kuss
Es traf ein leichter, goldner Strahl mein Herz
Ein einzig, winzig-kleiner Augenblick,
Hat meinem ganzen Leben Licht gebracht,
Und deine Worte: Freundschaft, Güte tragend
vielleicht – Unsterblichkeit.
    Das undatierte Gedicht Else Bergmanns, der Ehefrau von Kafkas Schulfreund Hugo Bergmann, ist eine der wenigen überlieferten Äußerungen, in denen Frauen ihre Gefühle gegenüber Kafka bekennen. Dabei ist seinen Briefen und Tagebüchern sowie den Berichten von Zeitgenossen deutlich genug zu entnehmen, dass der charmante und gut aussehende Kafka bei Frauen – vor allem bei jüngeren – recht häufig schwärmerische Emotionen auslöste. Mehrere Frauen – darunter Felice Bauer, Milena Jesenská, Dora Diamant und deren Freundin Tile Rössler – haben Kafka nach dessen Tod idealisiert und verklärt.
    Else Bergmann (1886–1969) war die Tochter von Berta Fanta, die im Haus ›Zum Einhorn‹ am Altstädter Ring einen literarischen Salon unterhielt. Hier verkehrte zeitweilig auch Kafka, und vermutlich war er mit Else Fanta schon bekannt, noch ehe sie ihren späteren Ehemann Hugo Bergmann (1883–1975) kennenlernte. Mit Bergmann, dem engagierten Zionisten, emigrierte sie 1919 nach Jerusalem. 1923, während eines Aufenthalts in Prag, versuchte sie Kafka dazu zu überreden, mit ihr nach Palästina zu reisen, doch die geplante Fahrt scheiterte letztlich an Kafkas schlechtem gesundheitlichen Zustand.
    Else Bergmann hat noch einige weitere Gedichte verfasst, die sich auf Kafka beziehen, darunter ein ›Gebet am Grabe Kafkas‹. Ihr Nachlass befindet sich heute im Leo Baeck Institute, New York.

Else und Hugo Bergmann

Ende
    95
    Der Tod in Kafkas Klasse
    Anfang der sechziger Jahre unternahm der Mediziner Hugo Hecht, ein langjähriger Mitschüler Kafkas, Recherchen über das Schicksal seiner Abiturklasse. Die vorläufigen Ergebnisse veröffentlichte er 1963 in der Monatsschrift Prager Nachrichten . Er hatte ermittelt, dass bereits zu Ende des Zweiten Weltkriegs, da seine einstigen Mitschüler 62 bis 64 Jahre alt waren, von insgesamt 24 Abiturienten wahrscheinlich nur noch fünf am Leben waren.»Die Bilanz ist grauenhaft«, schrieb Hecht, »mehr als ein Drittel der Klasse fiel einem gewaltsamen Tod zum Opfer.«
    Diese Bilanz geht natürlich vor allem auf die Judenverfolgungen des Nazi-Regimes und auf damit verbundene Kriegsgeschehnisse zurück: Vermutlich fünf Mitschüler Kafkas wurden in Konzentrationslagern ermordet, einer kam bei der Bombardierung eines Schiffes ums Leben, ein weiterer starb an Herzschwäche nach einer strapaziösen Flucht. Besonders auffallend das Schicksal des Arztes Karl Steiner: Er wurde in Theresienstadt geboren und starb in Auschwitz.
    Auch Kafka selbst, der ja nur knapp 41 Jahre alt wurde, überlebte bereits drei seiner Mitschüler. Zwei von ihnen begingen Selbstmord schon bald nach dem Abitur, ein weiterer, Kafkas naher Freund Oskar Pollak, wurde an der Insonzo-Front getötet. Wobei die Überlebenschancen ehemaliger Abiturienten im Ersten Weltkrieg noch überdurchschnittlich hoch waren. Denn viele von ihnen ergriffen Berufe, die ›kriegswichtig‹ waren und ihnen den Kampfeinsatz daher ersparten: insbesondere Mediziner (fünf in Kafkas Klasse), aber auch Juristen wie Kafka selbst, der von seiner Behörde als unabkömmlich reklamiert wurde.

    Die Abbildung zeigt das Verzeichnis von Kafkas letzter Gymnasialklasse im Jahresbericht des Altstädter deutschen Gymnasiums (mit Ausnahme zweier Mitschüler, die bei der Abiturprüfung 1901 durchgefallen waren). Die aufgeführten »gewählten

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