Ist Gott ein Mathematiker
Hilberts Arbeit hielt, sagte den Rest seiner geplanten Veranstaltungen ab und widmete sich in der verbliebenen Zeit Gödels Erkenntnissen.
Der Mensch Kurt Gödel übrigens war jeder Zoll so komplex wie seine Sätze. Im Jahr 1940 verließen er und seine Frau Adele das nationalsozialistische Österreich, und Gödel trat eine Stelle am Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, an. Dort wurde er zum guten Freund Albert Einsteins, den er häufig auf dessen ausgedehnten Spaziergängen begleitete. Und als Gödel sich 1948 um die Einbürgerung als amerikanischer Staatsbürger bewarb, war es Einstein, der ihn zusammen mit dem Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern (1902–1977) zu seiner Anhörung bei den Einwanderungsbehörden begleitete. Die Ereignisse rund um dieses Interview sind allgemein bekannt, aber sie werfen ein so erhellendes Licht auf die Persönlichkeit Gödels, dass ich sie hier in ganzer Länge und
exakt
so wiedergeben will, wie sie von Oskar Morgenstern am 13. September 1971 aus dem Gedächtnis zu Papier gebracht worden sind. Ich bin Mrs. Dorothy Morgenstern Thomas, seiner Witwe, und dem Institute for Advanced Study überaus dankbar dafür, dass sie mir eine Kopie des Dokuments überlassen haben:
Es war im Jahre 1948, dass Gödel amerikanischer Staatsbürger werden sollte. Er bat mich, sein Zeuge zu sein, als zweiten Zeugen schlug er Albert Einstein vor, der ebenfalls freudig zusagte. Einstein und ich kamen hin und wieder zusammen und waren höchst gespannt, was wohl während dieser Zeit vor dem Einbürgerungsverfahren und auch währenddessen so alles passieren würde.
Gödel, den ich in den Monaten vor diesem Ereignis natürlich gelegentlich getroffen hatte, ging in akribischer Weise daran, sich angemessen vorzubereiten. Da er ein sehr gründlicher Mann war, begann er zunächst, sich über die Geschichte der Besiedlung Nordamerikaskundig zu machen. Das brachte ihn allmählich zur Beschäftigung mit der Geschichte der indianischen Urbevölkerung Amerikas, ihren verschiedenen Stämmen und so weiter. Er rief mich viele Male an und bat um Literatur, die er eifrig studierte. Viele Fragen wurden nach und nach aufgeworfen, und natürlich regten sich jede Menge Zweifel, ob all diese historischen Darstellungen wirklich zutreffend waren beziehungsweise welche besonderen Umstände sich jeweils darin widerspiegelten. Von da aus ging Gödel die nächsten Wochen hindurch dazu über, sich mit amerikanischer Geschichte zu befassen, und konzentrierte sich dabei insbesondere auf verfassungsrechtliche Fragen. Das brachte ihn zu Studien über die Geschichte von Princeton, und er wollte von mir wissen, wo die Grenze zwischen der Stadt selbst und dem umliegenden Bezirk verlief. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass all das völlig unnötig sei, aber vergebens. Er bestand darauf, alles zu erfahren, was er für wichtig hielt, und so versorgte ich ihn mit den nötigen Informationen über Princeton. Dann wollte er wissen, wie der Gemeinderat und der Stadtrat gewählt würden, wer der Bürgermeister war und wie der Stadtrat arbeitete. Er dachte, man würde solche Dinge womöglich fragen. Wenn sich dabei zeigen würde, dass er über die Stadt, in der er wohnte, nichts wusste, würde dies einen schlechten Eindruck machen.
Ich versuchte ihn davon zu überzeugen, dass solche Fragen nie gestellt würden und dass die meisten Fragen reine Formsache seien und er sie leicht werde beantworten können, bestenfalls würde man von ihm wissen wollen, was für eine Art von Regierung wir in diesem Land haben oder wie das höchste Gericht heißt, solche Dinge eben. Wie dem auch sei, er fuhr mit seinem Studium der Verfassung fort.
Nun ergab sich eine interessante Wendung. Er erzählte mir recht aufgeregt, er habe bei seiner Beschäftigung mit der Verfassung zu seiner großen Bestürzung einige innere Widersprüche entdeckt und könne zeigen, dass sich jemand auf völlig legale Weise zum Diktator aufschwingen und ein faschistisches Regime errichten könne, was von denen, die die Verfassung erlassen hatten, garantiert nie und nimmer beabsichtigt gewesen sei. Ich entgegnete ihm, es sei höchst unwahrscheinlich, dass solche Ereignisse je stattfänden, selbst wenn er wirklich recht hätte, was ich selbstredend bezweifelte. Aber er blieb dabei, und so hatten wir eine Menge Diskussionen über diesen speziellen Punkt. Ich versuchte ihm einzuimpfen, dass er bei seiner Anhörung vor dem Gericht in Trenton lieber darauf
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