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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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verzichten solle, solche Fragen aufzuwerfen, und erzählte auch Einstein davon: Derwar entsetzt, dass Gödel überhaupt auf eine solche Idee gekommen war, und erklärte ihm ebenfalls, er solle sich keine Gedanken über derlei Dinge machen und auch nicht die Sprache darauf bringen.
    Monate gingen ins Land, und endlich kam der Tag der Anhörung in Trenton. Ich holte Gödel an diesem Tag mit meinem Wagen ab. Er nahm auf dem Rücksitz Platz, dann fuhren wir Einstein in seinem Haus in der Mercer Street abholen, von dort ging es nach Trenton. Während der Fahrt wandte sich Einstein ein bisschen nach hinten und sagte: «Nun, Gödel, sind Sie denn auch
wirklich
gut vorbereitet auf diese Prüfung?» Natürlich machte Gödel diese Frage völlig nervös, genau das hatte Einstein beabsichtigt, und er amüsierte sich königlich, als er Gödels besorgtes Gesicht sah. Als wir in Trenton ankamen, wurden wir in einen großen Raum geleitet, und obwohl die Bürgen in der Regel getrennt von den Bewerbern befragt wurden, machte man wegen Einsteins Erscheinen eine Ausnahme, und wir durften alle drei zusammen Platz nehmen, Gödel saß in der Mitte. Der Examinator fragte zuerst Einstein und dann mich, ob wir glaubten, dass Gödel einen guten Staatsbürger abgeben würde. Wir versicherten ihm, dass dies ganz gewiss der Fall und er ein ehrenwerter Mann sei und so weiter. Und dann wandte er sich an Gödel und fragte: «Nun, Mr. Gödel, woher kommen Sie?»
    Gödel: Woher ich komme? Österreich.
    Der Prüfer: Was für eine Regierung hatten Sie in Österreich?
    Gödel: Es war eine Republik, aber die Verfassung war so, dass sie schließlich in eine Diktatur verwandelt wurde.
    Der Prüfer: Oh! Das ist sehr schlimm. In diesem Land könnte das nicht passieren.
    Gödel: O doch, das kann ich
beweisen.
    Von allen möglichen Fragen hatte der Beamte also ausgerechnet die heikelste gestellt. Einstein und ich hatten dem Wortwechsel entsetzt gelauscht. Der Prüfer war jedoch klug genug, Gödel rasch zum Schweigen zu bringen, indem er sagte: «O Gott, lassen Sie uns das bloß nicht vertiefen», und brach zu unserer großen Erleichterung die Befragung an diesem Punkt ab. Wir konnten gehen, und als wir auf dem Weg zum Aufzug waren, kam ein Mann mit einem Stück Papier und einem Stift hinter uns hergerannt, lief auf Einstein zu und bat diesen um ein Autogramm. Einstein tat ihm den Gefallen. Als wir im Lift hinunterfuhren, wandte ich mich an Einstein und sagte: «Es muss fürchterlich sein, von so vielen Leuten in dieser Weise verfolgtzu werden.» Darauf Einstein zu mir: «Wissen Sie, das sind nur die letzten Überreste des Kannibalismus.» Ich wunderte mich über seine Antwort und fragte: «Wie das?» Darauf er: «Ja, früher wollten sie Ihr Blut, jetzt wollen sie Ihre Tinte.»
    Dann machten wir uns auf den Weg, fuhren nach Princeton zurück, und als wir an die Abzweigung zur Mercer Street kamen, fragte ich Einstein, ob er ins Institut oder nach Hause wolle. Er antwortete: «Bringen Sie mich nach Hause, meine Arbeit ist ohnehin nichts mehr wert.» Dann zitierte er aus einem amerikanischen Politsong (ich erinnere mich leider nicht mehr an die Worte, vielleicht habe ich sie noch in meinen Aufzeichnungen, aber mit Sicherheit würde ich ihn erkennen, wenn jemand die betreffende Zeile rezitieren würde). Also Richtung Einsteins Haus, dort drehte dieser sich ein weiteres Mal zu Gödel um und sagte: «Nun, Gödel, das war Ihre vorletzte Prüfung.» Gödel, schon wieder voller Sorge: «Großer Gott, kommt da noch eine?» Einstein entgegnete: «Gödel, die nächste Prüfung haben Sie, wenn Sie in Ihr Grab steigen.» Gödel: «Aber Einstein, ich steige nicht in mein Grab», darauf Einstein: «Gödel, genau das war der Witz!», und damit zog er ab. Ich fuhr Gödel heim. Alle waren erleichtert, dass diese denkwürdige Angelegenheit vorbei war, Gödel hatte den Kopf wieder frei, um sich mit Problemen der Logik und der Philosophie herumzuschlagen.
    Später im Leben litt Gödel phasenweise unter schweren psychischen Störungen, die ihn dazu brachten, das Essen zu verweigern. Er starb am 14. Januar 1978 an Unterernährung und Erschöpfung.
    Entgegen der teilweise verbreiteten irrigen Annahme bedeuten Gödels Unvollständigkeitssätze keineswegs, dass manche Wahrheiten niemals bekannt werden. Wir können aus diesen Sätzen auch nicht schließen, dass die menschliche Fähigkeit zu verstehen in irgendeiner Weise beschränkt ist. Vielmehr demonstrieren die Sätze lediglich die

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