Ist Gott ein Mathematiker
Schwächen und Unzulänglichkeiten formaler Systeme. Es mag daher in gewisser Weise überraschen, dass diese Sätze trotz des ungeheuren Gewinns, den sie für die Philosophie der Mathematik bedeutet haben, auf die Effektivität der Mathematik beim Bilden von Theorien nur verhältnismäßig geringen Einfluss genommen haben. Tatsächlich hatte die Mathematik in den Jahrzehnten um die Veröffentlichung der Gödel’schen Beweise herum einige ihrer spektakulärsten Erfolge zuverzeichnen, und zwar im Zusammenhang mit physikalischen Theorien über das Universum. Weit davon entfernt also, als unzuverlässig abgetan zu werden, erlangte die Mathematik samt ihrer logischen Schlussfolgerungen immer mehr Bedeutung für die Erklärung kosmischen Wirkens.
Das machte allerdings auch das Rätsel um die «unbegreifliche Erklärungsmacht» der Mathematik nur umso undurchsichtiger. Denken Sie einmal einen Augenblick darüber nach, und stellen Sie sich vor, wie die Dinge ausgesehen hätten, wäre das Unterfangen der Logiker von Erfolg gekrönt gewesen. Es hätte bedeutet, dass die Mathematik komplett aus der Logik – buchstäblich aus den Gesetzen des Denkens – hervorgegangen sein musste. Wie aber kann eine derart deduktive Wissenschaft auf solch fantastische Weise mit den Phänomenen der Natur vereinbar sein? Worin besteht die Beziehung zwischen formaler Logik (vielleicht sollten wir eher sagen, der formalen Logik des Menschen) und dem Kosmos? Hilbert und Gödel waren der Antwort darauf keinen Deut näher gekommen. Man hatte es fortan nur noch mit einem unvollständigen formalen «Spiel» in mathematischer Sprache zu tun: Wie war es möglich, dass Modelle, die auf einem dermaßen «unzuverlässigen» System fußten, so tiefe Einsichten in das Funktionieren des Universums zu vermitteln vermochten? Bevor ich auch nur den Versuch unternehme, diese Fragen anzugehen, möchte ich sie noch ein wenig zuspitzen, indem ich einige Fallstudien untersuche, die die Feinheiten der Erklärungsmacht von Mathematik ins rechte Licht rücken.
Kapitel 8
UNBEGREIFLICHE ERKLÄRUNGSMACHT?
In Kapitel 1 hatte ich erwähnt, dass der Erfolg der Mathematik bei der Beschreibung der physikalischen Welt zwei Aspekte hat: einen, den ich «aktiv», und einen, den ich «passiv» nannte. Die «aktive» Seite spiegelt die Tatsache wider, dass Wissenschaftler die Gesetze der Natur in handfeste, anwendbare mathematische Formeln zu fassen vermögen. Das heißt, sie verwenden mathematische Einheiten, Beziehungen und Gleichungen, die mit möglichen Anwendungen – oftmals für den nämlichen Diskussionsgegenstand – im Hinterkopf entwickelt wurden. In solchen Fällen lassen sich die Forscher in der Regel von Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Eigenschaften der von ihnen verwendeten mathematischen Begriffe und den beobachteten Phänomenen oder Versuchsergebnissen leiten. Da mag die Erklärungsmacht der Mathematik nicht allzu überraschend erscheinen, denn man könnte argumentieren, dass die Theorien auf die Beobachtungen passend maßgeschneidert worden seien. Trotzdem gibt es auch an diesem «aktiven» Aspekt eine erstaunliche Seite, die ich später in diesem Kapitel näher erläutern werde. Die «passive» Tauglichkeit hingegen bezieht sich auf Fälle, in denen völlig abstrakte mathematische Theorien entwickelt wurden, ohne dabei an so etwas wie Anwendung überhaupt zu denken, die später dann auf wundersame Weise zu physikalischen Modellen von außerordentlicher Vorhersagekraft mutierten. Die
Knotentheorie
ist ein faszinierendes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen aktiver und passiver Effizienz.
Knoten
Knoten sind ein Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Sie erinnern sich vielleicht an den griechischen Mythos vom Gordischen Knoten. Ein Orakel beschied den Bürgern Phrygiens, ihr nächster König werde jemand sein, der in einem Ochsenkarren in ihre Hauptstadt gefahren komme. Der Betreffende war Gordios. Von Dankbarkeit übermannt, weihte er seinen Wagen den Göttern und band ihn in einem Tempel mit einem komplizierten Jochknoten fest, der allen Versuchen, ihn zu lösen, widerstand. Die Vorsehung, so hieß es, wolle, dass derjenige, der den Knoten löse, König von ganz Kleinasien werde. Wie das Schicksal so spielte, war derjenige, der den Knoten (im Jahr 333 v. Chr.) schließlich durchtrennte, Alexander der Große, der anschließend tatsächlich Herrscher über Kleinasien wurde. Allerdings war Alexanders Art, den Gordischen Knoten zu lösen,
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