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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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nicht unbedingt das, was man als subtil oder gar fair bezeichnen würde – er durchschlug ihn, wie berichtet wird, mit seinem Schwert!
    Aber wir müssen nicht den ganzen Weg zurück zu den alten Griechen marschieren, um es mit Knoten zu tun zu bekommen. Ein Kind, das seine Schnürsenkel bindet, ein Mädchen, das sein Haar schmückt, eine Pullover strickende Großmama oder ein Seemann, der sein Boot vertäut – sie alle bedienen sich der einen oder anderen Art von Knoten. Einige Knoten tragen fantasievolle Namen wie Altweiberknoten, Affenfaust, Fischerknoten, Henkersknoten, Rosenknoten, Trompetenknoten und Schotstek. Vor allem Seemannsknoten galten die Geschichte hindurch immerhin als so bedeutsam, dass man ihnen im England des 17. Jahrhunderts eine ganze Bibliothek an Büchern gewidmet hat. Eines dieser Bücher wurde übrigens von niemand anderem geschrieben als dem englischen Abenteurer John Smith (1580–1631), besser bekannt wegen seiner Liebesbeziehung zu Pocahontas, der Tochter eines Indianerhäuptlings.
    Die Geburtsstunde der mathematischen Knotentheorie schlug im Jahr 1771 mit einem Aufsatz des französischen Mathematikers Alexandre-Théophile Vandermonde (1735–1796). Vandermonde war der Erste, dem aufging, dass Knoten sich als Teil einer
Geometrie derLage
auffassen lassen, die sich mit den Lagebeziehungen zwischen geometrischen Gebilden befasst und dabei Quantitäten und das Rechnen mit Größen völlig außer Acht lässt. Der Nächste in der Reihe derer, die die Entwicklung der Knotentheorie beförderten, war der deutsche «Princeps mathematicae» («Fürst der Mathematik») Carl Friedrich Gauß. Mehrere von Gauß’ Aufzeichnungen enthalten Zeichnungen und genaue Beschreibungen von Knoten, dazu einige analytische Untersuchungen zu ihren Eigenschaften. Doch so bedeutsam die Arbeiten von Vandermonde, Gauß und einigen anderen Mathematikern des 19. Jahrhunderts auch gewesen sein mögen, die treibende Kraft hinter der modernen mathematischen Knotentheorie kam aus einer ganz anderen, völlig unerwarteten Richtung: dem Versuch, die Struktur von Materie zu erklären. Die Idee entsprang dem Geist des berühmten englischen Physikers William Thomson, besser bekannt als Lord Kelvin (1824–1907). Thomsons Forschungen konzentrierten sich in erster Linie darauf, eine Atomtheorie – eine Theorie der Grundbausteine von Materie also – zu formulieren. Seinen wirklich fantasievollen Überlegungen zufolge waren Atome in Wirklichkeit verknotete Wirbelfäden in einem geheimnisvollen kontinuierlichen Medium, das damaligen Vorstellungen zufolge allen Raum ausfüllen sollte. Die Vielfalt der chemischen Elemente sollte im Kontext seines Modells durch die Mannigfaltigkeit an möglichen Knoten erklärt werden.
    Wenn Thomsons Mutmaßungen heutzutage ziemlich verschroben klingen, so nur deshalb, weil wir ein ganzes Jahrhundert Zeit hatten, uns an das richtige Atommodell zu gewöhnen, in dem Elektronen den Atomkern umschwirren, und dieses experimentell zu testen. Thomsons Zeit aber war das England der 1860er Jahre, und er war tief beeindruckt von der Stabilität komplexer Rauchringe und deren Fähigkeit zu schwingen – zwei Eigenschaften, die man seinerzeit als unentbehrlich für ein wirklichkeitsnahes Atommodell betrachtete. Um das Knotenäquivalent des Periodensystems der Elemente erstellen zu können, musste Thomson daher eine Knotenklassifikation aufstellen und herausfinden, welche verschiedenen Knoten überhaupt möglich sind. Aus diesem Streben nach einer tabellarischen Auflistung an möglichen Knoten entwickelte sich letztlich das ernsthafte Interesse an der Mathematik von Knoten.

    Abbildung 53
    Wie ich bereits in Kapitel 1 erwähnt habe, sieht ein mathematischer Knoten aus wie ein ganz normaler Knoten in einem Stück Schnur, dessen Enden ineinander übergehen. Mit anderen Worten: Ein mathematischer Knoten sieht aus wie eine in sich geschlossene Raumkurve ohne offene Enden. Abbildung 53 gibt einige Beispiele, die Knoten sind hier als ihre Projektionen oder Schatten in der Ebene dargestellt. Die räumliche Anordnung zweier sich kreuzender Abschnitte ist dadurch kenntlich gemacht, dass die unten liegende Schlinge durch die obere unterbrochen wird. Der einfachste Knoten – der sogenannte
Unknoten
– ist nichts weiter als eine kreisförmige geschlossene Kurve (siehe Abbildung 53a). Der
Kleeblattknoten
oder die Kleeblattschlinge (Abbildung 53b) weist drei Überkreuzungen auf, der
Achterknoten
(Abbildung 53c) vier.

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