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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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(1564–1642), der sehr viel mathematischer und kritisch-experimentell dachte, konnte als Erster zeigen, dass Aristoteles komplett danebengelegen hatte. Mittels eines pfiffigen Gedankenexperiments gelang es Galilei zu belegen, dass Aristoteles’ Gesetz einfach keinen Sinn ergab, weil es logisch nicht schlüssig war. Er argumentierte folgendermaßen: Angenommen, Sie binden zwei Gegenstände aneinander, von denen der eine schwerer ist als der andere. Wie viel schneller würde der zusammengesetzte Gegenstand fallen als jeder der beiden allein? Einerseits könnte man – nach dem Gesetz des Aristoteles – annehmen, dieser müsse irgendeine mittlere Fallgeschwindigkeit haben, die irgendwo zwischen den Fallgeschwindigkeiten der jeweiligen Gegenstände allein liegt, weil der leichtere Gegenstand den schwereren in seiner Geschwindigkeit bremsen müsste.Andererseits müsste in Anbetracht dessen, dass der zusammengesetzte Gegenstand schwerer ist als beide seiner Teile, dieser sogar rascher fallen als der schwerere von beiden, womit wir es mit einem klaren Widerspruch zu tun haben. Der einzige Grund dafür, dass eine Feder sanfter zur Erde segelt als ein Ziegelstein, ist der, dass die Feder einen höheren Luftwiderstand erfährt – aus derselben Höhe in einem Vakuum fallen gelassen, würden Feder und Stein gleichzeitig auf dem Erdboden auftreffen. Diese Tatsache ist in zahllosen Experimenten nachgewiesen worden, sicher in keinem spektakulärer als in dem des Apollo-15-Astronauten David Randolph Scott. Scott, der siebente Mensch, der einen Fuß auf die Mondoberfläche gesetzt hat, ließ gleichzeitig aus einer Hand einen Hammer und aus der anderen eine Feder fallen. Da dem Mond eine nennenswerte Atmosphäre abgeht, trafen Hammer und Feder gleichzeitig auf der Mondoberfläche auf.
    Das Erstaunliche an Aristoteles’ fehlerhaftem Bewegungsgesetz ist nicht, dass es falsch war, sondern dass es fast zweitausend Jahre hindurch akzeptiert worden ist. Wie kann eine falsche Idee so bemerkenswert lange überleben? Dies war ein klarer Fall der Verkettung von günstigen Umständen – des Zusammenwirkens von drei ganz unterschiedlichen Kräften, das eine unangreifbare Lehrmeinung hat entstehen lassen. Zum einen war da die schlichte Tatsache, dass Aristoteles’ Gesetz in Ermangelung präziser Messungen mit der Alltagserfahrung des gesunden Menschenverstands übereinzustimmen schien – ein Blatt Papyrus schwebte in der Luft, ein Klumpen Blei hingegen nicht. Es bedurfte des Genius eines Galilei, um zu zeigen, dass der gesunde Menschenverstand uns irreleiten kann. Zweitens lagen da der unvergleichliche Ruhm und die unangefochtene Autorität des Gelehrten Aristoteles in der Waagschale. Schließlich war er der Mann, der die Grundfesten für einen Großteil der westlichen Kultur gelegt hatte. Ob es sich nun um die Untersuchung von Naturphänomenen aller Art oder die Fundamente von Ethik, Metaphysik, Politik oder Künsten handelte, Aristoteles hatte das passende Buch dazu geschrieben. Und das war noch nicht alles. In gewissem Sinne brachte Aristoteles uns bei,
wie
wir zu denken haben, indem er die ersten formalen Überlegungen zur Logik angestellt hat. Heute kennt so gut wie jedes Schulkind Aristoteles’ bahnbrechendes, insich geschlossenes System einer logischen Argumentation, den sogenannten
Syllogismus:
    1. Alle Griechen sind Menschen.
    2. Alle Menschen sind sterblich.
    3. Deshalb sind alle Griechen sterblich.
    Der dritte Grund für die unglaubliche Zählebigkeit von Aristoteles’ falscher Theorie war die Tatsache, dass die christliche Kirche sich diese Theorie sehr rasch als offizielle orthodoxe Lehrmeinung zu eigen gemacht hatte. Für die meisten Versuche, Aristoteles’ Behauptungen in Frage zu stellen, war dies Abschreckung genug.
    Trotz seiner eindrucksvollen Beiträge zur Systematisierung der deduktiven Logik ist Aristoteles nicht gerade für seine mathematischen Leistungen bekannt. Es mag ein wenig überraschen, aber der Mann, der letztlich die Wissenschaft zu einem organisierten Unterfangen gemacht hat, war der Mathematik weit weniger (und sicher sehr viel weniger als Platon) zugeneigt und in Physik eher schwach. Ungeachtet dessen, dass Aristoteles sich durchaus über die Wichtigkeit numerischer und geometrischer Relationen für die Naturwissenschaften im Klaren gewesen ist, betrachtete er die Mathematik dennoch als abstrakte Disziplin, die von der physikalischen Realität losgelöst existiert. Infolgedessen würde Aristoteles,

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