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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Berühmtheit verdankt er jedoch seiner Rolle bei der Verteidigung seiner Heimatstadt Syrakus gegen die Römer.
    Kriege waren bei den Geschichtsschreibern stets eine populäre Angelegenheit. Folglich nehmen die Ereignisse während der römischen Belagerung von Syrakus von 214 bis 212 v. Chr. in den Chroniken vieler Geschichtsschreiber breiten Raum ein. Der römische General Marcus Claudius Marcellus (ca. 268–208 v. Chr.), der damals bereits über beträchtlichen militärischen Ruhm verfügte, hatte sich einen raschen Sieg versprochen. Offenbar hatte er nicht mit einem dickschädeligen König Hieron gerechnet, dem ein mathematisches Genie zur Seite stand. Plutarch liefert eine hingebungsvolle Darstellung des Schadens, den Archimedes’ Maschinen unter den römischen Truppen anrichteten:
    Als aber jetzt Archimedes seine Maschinen spielen ließ, da schlugen den Angreifern auf der Landseite Geschosse verschiedenster Art entgegen und Steine von gewaltiger Größe, die mit furchtbarem Sausen und unglaublicher Geschwindigkeit niederfuhren und, weil nichts vor ihrer Wucht zu schützen vermochte, die Getroffenen in dichter Masse niederwarfen und ihre Reihen zerrissen; und zugleich erhoben sich gegen die Schiffe über den Mauern plötzlich Kräne, die entweder schwere Lasten von oben niederfallen ließen und sie so in die Tiefe versenkten, oder sie mit eisernen Händen oder Haken in Form von Kranichschnäbeln am Bug erfaßten, hochhoben und senkrecht, das Heck voran, ins Meer stürzten, oder sie mit starken Trossen, die innen angezogen und aufgerollt wurden, gegen die unter den Mauern emporragenden Felsen und Klippen schmetterten, so daß sie unter starken Verlusten für die Besatzung in Stücke gingen. Oft war es da ein schauriger Anblick, wenn ein Schiff, hoch aus der See emporgehoben, hin und her baumelte und dahing, bis die Mannschaft heruntergeschüttelt oder weggeschleudert war und es leer gegen die Mauern prallte oder, wenn der Griff des Hakens nachließ, hinabstürzte.
    Die Furcht vor den Gerätschaften des Archimedes nahm derartige Ausmaße an, dass die römischen Soldaten, «wenn man nur ein Stück Tau oder einen kurzen Balken sich über die Mauer vorstrecken sah, gleich schrien, da habe man es, Archimedes lasse wieder eine Maschine gegen sie spielen, sich wandten und davonliefen». Sogar Marcellus selbst war nachhaltig beeindruckt und klagte seinen eigenen Ingenieuren und Maschinenbauern gegenüber: «Wollen wir nicht den Kampf gegen diesen mathematischen Briareos [ein hundertarmiger Riese, Sohn des Uranus und der Gaia] einstellen, der mit unseren Schiffen wie mit riesigen Bechern aus dem Meer schöpft, unsere Sambyke mit Schimpf und Schande fortgeprügelt hat und sogar die Hunderthänder der Sage überbietet, da er so viele Geschosse auf einmal gegen uns schleudert?»
    Einer anderen populären Legende zufolge, die in den Schriften des großen griechischen Arztes Galenos (ca. 129–200 n. Chr.) erstmals erwähnt wird, soll Archimedes eine Reihe von Spiegeln verwendet haben, mit deren Hilfe er Sonnenstrahlen bündelte, um die römischen Schiffe in Brand zu setzen. Im 6. Jahrhundert versuchte der byzantinische Architekt Anthemios von Tralleis diese fantastische Geschichte zu wiederholen, im 12. Jahrhundert taten es ihm einige Historiker nach, wobei die Machbarkeit eines solchen Unterfangens nach wie vor nicht abschließend geklärt ist. Dennoch vermittelt uns diese Sammlung von fast schon mythisch verklärten Berichten über geradezu übernatürliche Taten des Archimedes einen lebhaften Eindruck von der Bewunderung, die diesem «Weisen» in den nachfolgenden Generationen entgegengebracht wurde.
    Wie ich bereits erwähnt habe, hat Archimedes selbst – der hoch geschätzte «mathematische Briareos» – all jenen militärischen Spielzeugen keine besondere Bedeutung beigemessen, er betrachtete sie mehr oder minder «als Nebenprodukte einer sich spielerisch betätigenden Mathematik». Leider hat diese dem schnöden Getriebe der Welt so abholde Haltung Archimedes wohl letztlich das Leben gekostet. Als die Römer Syrakus endlich eingenommen hatten, war Archimedes soeben so versonnen damit beschäftigt, seine geometrischen Zeichnungen zu betrachten, dass er den Kriegslärm überhaupt nicht wahrnahm. Einigen Berichten zufolge soll der alte Geometer, als ihmein Soldat befahl, ihn zu Marcellus zu begleiten, ungehalten erwidert habe: «Störe meine Kreise nicht.» Diese Antwort habe den Soldaten derart in Rage

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