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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Inhalt all dessen, was in der Bibel niedergeschrieben ist, inspiriert, sondern er habe auch jedes Wort davon diktiert und festgelegt. Galilei war davon offenbar nicht überzeugt. In seinem Brief an Castelli fügt er hinzu:
    Ich halte dafür, daß die Autorität der Heiligen Schrift einzig zum Ziele hat, die Menschen von jenen Artikeln und Lehren zu überzeugen, die unerläßlich für ihr Heil und über jegliche menschliche Erkenntnis hinausgehend, ihnen durch keine andere Wissenschaft und kein anderes Mittel als durch den Mund des Heiligen Geistes selbst glaubwürdig gemacht werden konnten. Aber daß derselbe Gott, welcher uns mit Sinnen, Urteilskraft und Verstand begabt hat, den Gebrauch selbiger hintansetzend, gewollt habe, uns Kenntnisse auf andere als die durch sie zu erlangende Weise zu vermitteln, das zu glauben erachte ich nicht für nötig, zumal nicht in jenen Wissenschaften, von denen nur ein überaus geringer Teil, dazu noch in verstreuten Sätzen, in der Schrift enthalten ist; welches eben für die Astronomie gilt, von der nur ein so kleiner Teil enthalten ist, daß noch nicht einmal die Planeten genannt wurden.
    Eine Kopie von Galileis Brief gelangte in die Hände der Heiligen Kongregation des Heiligen Offiziums in Rom, die sich mit Angelegenheiten des Glaubens zu befassen hatte, und hier insbesondere in die Hände des einflussreichen Kardinals Robert Bellarmin (1542–1621). Bellarmins erste Reaktion auf Kopernikus war relativ gemäßigt ausgefallen, denn er betrachtete das gesamte heliozentrische Modell als Möglichkeit, den Schein zu wahren, «so wie jene, die sich für die Epizyklen als mögliche Lösung ausgesprochen hatten, ohne recht eigentlich an deren Existenz zu glauben». Wie andere vor ihm behandelte auch Bellarmin die von den Astronomen vertretenen mathematischen Modelle lediglich als bequemes Spielzeug, ersonnen, um zu beschreiben, was Menschen beobachten, ohne dabei in irgendeiner Weise der physikalischen Realität verhaftet zu sein. Solche Instrumente «zur Wahrung des schönen Scheins», so sein Argument, belegten mitnichten, dassdie Erde sich wirklich bewegt. Folglich sah Bellarmin in Kopernikus’ Buch
De Revolutionibus Orbium Coelestium
(«Über die Kreisbewegungen der Weltkörper») keine unmittelbare Bedrohung, wenngleich er sich beeilte hinzuzufügen, dass die Behauptung, die Erde drehe sich, nicht nur alle «gelehrten Philosophen und Theologen» irritiere, sondern auch den «Heiligen Glauben erschüttere, indem sie der Heiligen Schrift widerspreche».
    Den Rest dieser tragischen Geschichte in allen Einzelheiten zu schildern würde den Rahmen sprengen, den ich mir für dieses Buch gesteckt habe, ich liefere daher nur eine kurze Skizze. Die für den Index verbotener Schriften zuständige Kongregation – die
Congregatio indicis librorum prohibitorum –
verbot Kopernikus’ Buch im Jahr 1616. Galileis unermüdliche Versuche, sich auf zahlreiche Passagen des heiligen Augustinus, des Meistverehrten unter den frühen Theologen, zu berufen, um seine Interpretation der Beziehung zwischen den Naturwissenschaften und der Heiligen Schrift zu stützen, brachten ihm wenig Sympathie ein. Trotz redegewandter Briefe, deren Hauptinhalt in der Versicherung bestand, dass (von oberflächlichen Kleinigkeiten abgesehen) keine Unstimmigkeiten zwischen der kopernikanischen Lehre und der biblischen Darstellung bestehe, betrachteten die Theologen jener Zeit Galileis Argumente als unwillkommene Einmischung in ihren Wirkungsbereich. Zynischerweise zögerten dieselben Theologen keinen Augenblick, sich ihrerseits zu Fragen der Wissenschaft zu äußern.
    Auch als am Horizont längst dunkle Wolken aufzogen, glaubte Galilei noch immer, dass die Vernunft siegen werde – ein Riesenfehler, wenn es darum geht, Fragen des Glaubens zu erörtern. Im Februar 1632 veröffentlichte Galilei seinen
Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico e copernicano
(«Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische»; Abbildung 20 zeigt das Titelblatt der ersten Auflage). Dieser polemische Text war Galileis ausführlichste Darstellung der kopernikanischen Ideen. Außerdem, so argumentierte Galilei, würden die Menschen, indem sie lernten, sich der Sprache des mechanischen Gleichgewichts und der Mathematik zu bedienen, auch den göttlichen Geist verstehen lernen. Anders ausgedrückt: Wenn jemand mit Hilfe der Geometrie zu einer Lösung für ein Problem gelangt, haben die

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