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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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der Stellung der Mathematik als einem bloßen Zwischending nicht einverstanden. Er tat den überaus kühnen Schritt, die Mathematik mit der Sprache Gottes gleichzusetzen. Dies aber warf ein weiteres schwerwiegendes Problem auf – eines, das höchst dramatische Auswirkungen auf Galileis Leben haben sollte.
Wissenschaft und Technologie
    Galilei zufolge hatte Gott bei der Erschaffung der Welt die Sprache der Mathematik gesprochen. Der katholischen Kirche zufolge war Gott der «Autor» der Bibel. Was war dann also von jenen Fällen zu halten, in denen mathematisch fundierte Erklärungen der Schrift augenscheinlich zu widersprachen? Die Theologen des Konzils von Trient hatten im Jahre 1546 darauf eine klare Antwort gefunden: Sie erklärten, «daß niemand, auf eigene Klugheit gestützt, es wagen soll, in Sachen des Glaubens und der Sitten, die zum christlichen Lehrgebäude gehören, die Heilige Schrift nach eigenem Verständnis und gegen jeden Sinn zu verdrehen, den die Heilige Mutter Kirche – ihr kommt es zu, über den wahren Sinn und über die Auslegung der Heiligen Schriften zu urteilen – festgehalten hat». Folglich kamen Theologen, die im Jahr 1616 ihre Meinung zu Kopernikus’ heliozentrischem Weltbild abgeben sollten, zu dem Schluss, dass dieses den Tatbestand der Ketzerei erfülle, da es an vielen Stellen dem Geist der Heiligen Schrift widerspreche. Mit anderen Worten: Die Ablehnung der kopernikanischen Weltsicht Galileis hatte weit weniger damit zu tun, dass die Erde darin aus ihrer zentralen Position im Kosmos verdrängt, als vielmehr mit der Tatsache, dass dadurch die Autorität der Kirche im Auslegen der Schrift untergraben wurde. In einem Klima, in dem die römisch-katholische Kirche sich ohnehin bereits mit den abweichlerischen Theologen der Reformation herumschlagen musste, befanden sich Galilei und die Kirche auf klarem Kollisionskurs.
    Gegen Ende des Jahres 1613 begannen die Ereignisse sich zu überschlagen. Galileis einstiger Schüler Benedetto Castelli brachte dem Großherzog der Toskana und seinem Hofstaat die neuesten astronomischen Entdeckungen zu Gehör. Erwartungsgemäß wurde er gedrängt, die offensichtlichen Widersprüche zwischen der kopernikanischen Lehre und verschiedenen biblischen Darstellungen zu erklären – beispielsweise der Stelle, an der Gott Sonne und Mond in ihrem Lauf anhält, damit Josua und die Israeliten im Tal von Ajalon ihren Kampf gegen die Amoriter siegreich zu Ende bringen konnten. Auch wenn Castelli berichtet, er habe sich bei seiner Verteidigung der kopernikanischen Lehre «wie ein Held geschlagen», war Galilei, als er von dieser Konfrontation hörte, einigermaßen beunruhigt und sah sich veranlasst, eine eigene Stellungnahme über die Widersprüche zwischen der Wissenschaft und der Heiligen Schrift abzugeben. In einem langen Brief an Castelli, datiert auf den 21. Dezember 1613, schrieb Galilei:
    Da also die Schrift es an vielen Stellen nicht nur zuläßt, sondern geradezu notwendig macht, eine von der scheinbaren Bedeutung der Worte abweichende Auslegung zu geben, halte ich dafür, daß ihr in den Disputen über die Natur der letzte Platz vorbehalten sein sollte: denn da die Heilige Schrift und die Natur in gleicher Weise aus dem Göttlichen Wort hervorgegangen sind, jene als Einflößung des Heiligen Geistes, diese als gehorsamste Vollstreckerin der göttlichen Befehle; und da ferner in den Schriften Übereinkunft darin besteht, viele Dinge dem Anschein und der Bedeutung der Worte nach anders zu sagen, als es die absolute Wahrheit wäre, um sich dem Verständnis der Menge anzubequemen; hingegen die Natur unerbittlich und unwandelbar und unbekümmert darum ist, ob ihre verborgenen Gründe und Wirkungsweisen dem Fassungsvermögen der Menschen erklärlich sind oder nicht, denn sie überschreitet niemals die Grenzen der ihr auferlegten Gesetze, scheint es, daß die natürlichen Wirkungen, die uns durch die Erfahrung der Sinne vor Augen geführt werden oder die wir durch zwingende Beweise erkennen, keinesfalls in Zweifel gezogen werden dürfen durch Stellen der Schrift, deren Worte scheinbar einen anderen Sinn haben, weil nicht jeder Ausspruch der Schrift an so strenge Regeln gebunden ist wie eine jede Wirkung der Natur.
    Diese Deutung biblischer Inhalte, vertrug sich eindeutig nicht mit der Position einiger der unnachgiebigen, strengeren Theologen. So hatte zum Beispiel der Dominikaner Domingo Bañez im Jahre 1584 geschrieben, der Heilige Geist habe nicht nur den

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